Von Marcelina Schulte

Zum ersten Mal wurden dieses Jahr in Frankfurt am Buchmessesamstag feierlich die TikTok Book Awards in fünf Kategorien verliehen. Der Preis soll vor allem die wachsende Bedeutung der Plattform TikTok und der BookTok-Community für die Branche honorieren. BookTok wirkt als starker Multiplikator und lässt die Verkaufszahlen von Titeln in die Höhe schießen, die bei der Community besonders beliebt sind. Dazu sind kurz zwei Zahlen zu nennen: Mehr als 190 Milliarden Aufrufe verzeichnet der Hashtag BookTok mittlerweile weltweit und die deutsche Buchbranche will dieses Jahr mithilfe von BookTok die Zehn-Milliarden-Marke an Umsatz knacken.

Für einen gebührend festlichen Rahmen waren neben den Nominierten auch einige Prominente geladen. Otto Waalkes, dank „Friesenjung“ auch eine TikTok-Größe, eröffnete die Preisverleihung in guter alter Komiker-Manier. Zudem gaben sich auch Autor Sebastian Fitzek und Creator Younes Zarou, der als Juror für den Titel #Booktok Creator*in des Jahres fungierte, die Ehre. 

Die unangefochtene Siegerin der Herzen an diesem Abend war für mich Jana Crämer, die als #BookTok Autor*in des Jahres gekürt wurde und das aus mehreren Gründen: Nach eigener Aussage in ihrer Dankesrede hatte sie sich schon als Teenie (zu einer Zeit, als sie erste Erfahrungen mit Ausgrenzung und Mobbing machen musste) sehnlichst gewünscht, zu einer Clique zu gehören und nun fühle sie sich in der Buchcommunity endlich als Teil einer solchen Gruppe. Man gönnt ihr die Auszeichnung einfach. Umso mehr, weil ihr Content hauptsächlich die Themen Selbstakzeptanz, Selbstwert sowie das Hinterfragen von Erwartungen und (Schönheits-)Normen behandelt. Damit tourt sie auch offline durch Schulen in ganz Deutschland. Durch ihre Authentizität macht sie vor allem jungen Menschen Mut, zu sich selbst zu stehen und gibt ihnen ganz viel Kraft. In einer immer mehr im Digitalen stattfinden Lebenswelt verkörpert Jana eine Art Gegengift zu den zahlreichen Gefahren und Verlockungen dieser virtuellen (Schein)Welt. Umso schöner, dass die Community zu schätzen weiß, was sie an Jana Crämer hat.

Als #BookTok Verlag des Jahres wurde dtv ausgezeichnet, wenig überraschend für alle, die den entsprechenden Content auf TikTok verfolgen. Das Erfolgsrezept besteht hier darin, dass die verantwortlichen jungen Mitarbeiter*innen in diesem Bereich selbstständig agieren dürfen und es so durch großes Engagement geschafft haben, vor allem die junge Zielgruppe in der App zu begeistern. Allerdings sollte der Aufwand, der dahintersteckt, noch einmal betont werden, ständig werde im Verlag irgendwo irgendwas gedreht, um neuen Content für TikTok zu produzieren.

Als #BookTok Creator*in des Jahres wurde @tabeajoanna ausgezeichnet. Im Zusammenhang mit dieser Kategorie sei kurz erwähnt, dass es sich bei allen Nominierten um junge, normschöne Frauen handelt. Ich bitte darum, diesen Einwand nicht falsch zu verstehen, sie alle machen fabelhaften Buchcontent und haben diese Nominierung aufgrund ihres Engagements für das Medium Buch zweifelsfrei mehr als verdient. Zudem ist der weibliche Anteil der Community unbestreitbar höher. Trotzdem ist es angebracht, hier kurz darauf zu verweisen, dass der Algorithmus der App Inhalte pusht, die möglichst vielen gefallen und da es sich um ein audiovisuelles Medium handelt, funktioniert das oftmals hauptsächlich über die Optik. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Bücher. Eindeutige Symptom sind in diesem Zusammenhang der aktuelle Buchschnitt-Hype oder der Erfolg der Bücherbüchse mit ihren Sondereditionen. Zudem sei darauf hingewiesen, dass der TikTok-Algorithmus laut Tech-Experte Sascha Lobo (er hat das in seinem aktuellen Buch „Die große Vertrauenskriese“ formuliert) zumindest zeitweise Creator*innen, die nicht dem Leitbild des chinesischen Staates entsprachen (z. B. Übergewicht oder eine sichtbare Behinderung aufwiesen), merklich in ihrer Reichweite beschränkt hätten. Die BookTok Community hat aber durchaus ein Bewusstsein für Themen wie Diversität. Das belegt auch @tabeajoannas Sieg. Denn sie sticht nicht nur als einzige Person of Color aus der Gruppe der Nominierten heraus, sondern vor allem auch dadurch, dass sie das Geschehen und die Mechanismen auf BookTok in ihren Videos häufig kritisch reflektiert und hinterfragt.

Was die Kategorie #BookTok Bestseller des Jahres angeht, so war die Verleihung recht unspektakulär. Anders als bei den anderen Kategorien wurde dieser Preis nicht auf Basis eines Community Votings, sondern auf Grundlage von nackten Zahlen vergeben. Dabei wurden zum einen Daten von Media Control und zum anderen interne Zahlen von TikTok einbezogen. Gewonnen hat das Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ von Stefanie Stahl.

So weit so gut. Streitbar finde ich den Fall des #BookTok Community Buchs des Jahres, zum zweiten Mal an diesem Abend ging der Preis an „Das Kind in dir muss Heimat finden“. Der Status dieses Titels als totaler Überflieger ist unbestreitbar, aber brauchte es wirklich TikTok, damit es sich verkauft wie geschnitten Brot? Schon im Vorfeld gab es Kontroversen zu Dennis Scheck als Juror dieser Kategorie, der mit der Community recht wenige Berührungspunkte hat und insbesondere über seine Zusammenstellung der Shortlist. Diese las sich wie eine Empfehlungsliste für den Deutschunterricht plus zwei Sachbücher. Witzig eigentlich, dass nicht das zweite Sachbuch im Rennen „Genial vital“ gewonnen hat, dass hätte die ganze Sache wirklich ad absurdum geführt. Ob TikTok der Veranstaltung so mehr Seriosität verleihen wollte? Es hat die Kluft zwischen alten und neuen Strömungen in der Buchbranche eher noch deutlicher sichtbar gemacht.  Weder Scheck noch Stahl wohnten der Veranstaltung bei. Ich frage mich übrigens, ob Stefanie Stahls Bestseller jetzt auch einen TikTok-Sticker verpasst bekommt. Vermutlich nicht, um die seriöse Kundschaft nicht abzuschrecken. 

Vergleicht man die Situation mit den BookTok Awards in Großbritannien, die im August verliehen wurden, so fällt auf, dass diese von Haus aus mehr Kategorien hatten, nämlich sieben statt fünf. Da wurden dann u. a „Heartstopper“ als Best Book I Wish I Could Read Again For The First Time und „Pride und Predjudice“ als Best BookTok Revival geehrt. Durch Stefanie Stahls Doppelsieg bleibt gefühlt eine Lücke zurück, die ein Buch des Jahres hätte füllen sollen, das mehr den Geist der Community verkörpert.