
André Hille
André Hille, Lektor, Autor und Inhaber der Textmanufaktur, spricht über das Erlernen der Schreibkunst und den Reiz des Geschichtenerzählens.
2008 hast du die Autorenschule Textmanufaktur gegründet. Wie kamst du auf die Idee und was genau muss man sich darunter vorstellen?
Die Textmanufaktur ist eine Schule für Textkompetenz, das heißt, Ziel der Seminare ist es, das Bewusstsein für Texte zu erhöhen. Im Zentrum steht dabei der literarische Text, immer mehr kommen aber auch andere Textsorten und Bereiche dazu: Genreliteratur, Journalismus oder etwa Seminare zum Thema Selbstcoaching, Lektorat oder Pressearbeit.
Das Prinzip der Textmanufaktur ist dabei der Wissenstransfer von renommierten Praktikern. Mit Autoren wie Wladimir Kaminer, Feridun Zaimoglu oder Ulrike Draesner an seinen eigenen Texten arbeiten zu können ist für viele eine sehr wertvolle Erfahrung. Nicht weniger Wert sind die Seminare mit Lektoren großer Publikumsverlage wie KiWi, Aufbau, Luchterhand usw. Hier geben die Lektoren präzise Hilfestellungen zu den Texten, aber vor allem auch Tipps aus dem Verlagsalltag und der Praxis der Buchveröffentlichung. Unabhängig vom Alter oder irgendwelchen Auswahlverfahren erst mal jedem Schreibenden die Möglichkeit zu bieten, mit den Größen der Branche zu arbeiten, war mein Anliegen.
Hinter der Textmanufaktur steht die Annahme, dass die Schreibkunst erlernbar sei. Sicher ein Konzept, das streitbar ist. Was erwiderst du Leuten, die sagen „Schreibtalent hat man oder eben nicht“?
Die Schreibkunst ist die einzige Kunst, bei der sich die Idee vom „genialen“ Künstler hartnäckig hält. Jeder Schauspieler weiß, dass er viele Jahre hart arbeiten muss, bevor er an der Volksbühne auftreten kann, jeder Maler und jeder Pianist weiß das auch. Nur bei Autoren denkt man, sei das anders. Vermutlich auch, weil wir alle mit der Sprache aufwachsen. Dabei hat unsere Sprache, wie wir sie täglich verwenden, so gut wie nichts mit der Kunstsprache in einem Roman zu tun. Hinzu kommt der große Drang der Autoren nach Öffentlichkeit. Es ist auch ein Irrglaube, dass gleich der erste Roman in einem großen Verlag unterkommen muss. Ich laufe als Maler ja auch nicht mit meinem ersten Bild in eine Nobel-Galerie. Man muss sich Zeit geben zu lernen und die Veröffentlichung eher als Sahnehäubchen sehen. Das Schreiben ist das Eigentliche. Die Idee vom genialen Autor wertet das Lernen ab. Lernen ist etwas Gutes und Wichtiges. Wir machen im Grunde ja den ganzen Tag nichts anderes.
Wie kommt die Textmanufaktur an? Was ist für die Zukunft geplant?
Die Kurse der Textmanufaktur sind im ersten Jahr des Bestehens ausgesprochen gut angenommen worden, was sicher mit den renommierten Dozenten, aber auch mit dem Konzept der Autorenförderung und mit der Attraktivität Leipzigs zu tun hat. Fast alle Seminare waren ausgebucht. Nun wird das Angebot mit Unterstützung meiner Mitstreiter Momo Evers und Paulina Schulz langsam auf andere Textsorten ausgebaut, wobei sich das Konzept nicht so eins zu eins auf andere Bereiche übertragen lässt.
Was würdest du Leuten raten, die wie du den Schritt in die Selbständigkeit wagen wollen?
Es ist wie bei einem Roman. Entweder stimmt die Grundidee oder die Art der Darstellung, entweder finde ich eine „ungewöhnliche Story“, heißt Geschäftsidee, oder ich muss eine altbekannte Geschichte auf neue, ungewöhnliche Art und Weise interpretieren. Am besten natürlich beides. Letztlich geht es aber immer darum, sich in den Kunden hineinzuversetzen und möglichst viele Argumente aus Kundensicht zu sammeln, die eine Geldausgabe rechtfertigen. Wichtig ist natürlich eine grundsätzliche Verortung des Produkts im gesellschaftlichen Terrain und im Konkurrenzumfeld. Hier liegt die Textmanufaktur im Schnittbereich zwischen Freizeit- und Wissensgesellschaft. Seminare bei der Textmanufaktur zu besuchen ist letztlich eine Investition in sich selbst.
Du bist selbst Autor. 2006 erschien deine Reiseerzählung „Erzähl mir vom Land der Birken“. Was gefällt dir am Schreiben? Beeinflussen deine Erfahrungen als Lektor dein Schreiben?
Am Schreiben mag ich eigentlich vor allem die Möglichkeit, an Erfahrungen anderer teilhaben zu können, ohne sie selbst machen zu müssen. Ich glaube, das ist der Kern des Geschichtenerzählens, seit sich Menschen überhaupt Geschichten erzählen: Jemand hat sich auf den Weg gemacht und berichtet davon. Sei es eine Reisebeschreibung, die Suche nach etwas Existenziellem, seien es innere Abgründe – Erzählen heißt eigentlich immer Entdecken des Menschlichen. „Literatur muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“, hat Kafka gesagt. Das ist in gewisser Hinsicht die Hintergrundmelodie, die bei mir immer mitläuft, wenn ich Manuskripte prüfe oder lese. Eine Lektorin nannte es die „Dringlichkeit eines Textes“, nach der sie immer suche: Warum musste dieser Text geschrieben werden? Das ist letztlich für mich das Entscheidende, auch wenn es natürlich noch viele andere Berechtigungen für das Schreiben gibt: Humor, Unterhaltung, Spannung, Informationsbedarf etc.
Du bist Mitglied im Verein Junge Verlagsmenschen und leitest die Leipziger Gruppe des Netzwerks. Wie kamst du dazu? Warum so ein Netzwerk?
Ich finde es spannend, dass sich Menschen aus der Branche zugleich lokal und deutschlandweit vernetzen. Auch hier geht es um Wissenstransfer. Mich interessiert auf der einen Seite, was in der eigenen Stadt in der Szene läuft, und auf der anderen Seite die großen Trends. Darüberhinaus macht es einfach Spaß.
Interview: Gesa Jung
André Hille, Jahrgang 1974, studierte Literatur- und Medienwissenschaften in Marburg. Seitdem arbeitete er als freier Autor und Kulturjournalist. 2006 erschien seine Reiseerzählung „Erzähl mir vom Land der Birken. Acht Wochen Schlesien“. Von 2007 bis 2009 war er als Programmleiter beim Plöttner Verlag tätig. 2008 gründete er die Autorenschule „Textmanufaktur“ (https://www.text-manufaktur.de/). Er lebt und arbeitet in Leipzig.