„Wir müssen uns gesellschaftlich wieder mehr zuhören“
Von Stefan Katzenbach
Literaturpodcasts sind inzwischen fester Bestandteil der literarischen Öffentlichkeit. Doch welchen Status haben sie? „Sind Literaturpodcasts fröhliches Buchgeplauder – oder ernstzunehmende Literaturkritik?“ Das wurde am Donnerstag der Leipziger Buchmesse auf der Veranstaltung „Ein wunderbares Buch! Literaturpodcasts und Literaturkritik“ diskutiert.
„Sind Podcaster:innen automatisch auch Literaturkritiker:innen?“, fragte Moderatorin Romina Nikolić zu Beginn der Diskussion. Georgina Fakunmoju, die als freie TV-, Radio-und Onlinejournalistin arbeitet und den Literaturpodcast My PoC Bookshelf betreibt, will das nicht für sich in Anspruch nehmen: „Nein. Ich habe Literatur nicht gelernt. Wir reden im Podcast ganz anders über Bücher.“ Sie wolle nicht akademisch über Bücher sprechen, sondern eher ihren persönlichen Denkprozess über die gelesenen Titel präsentieren und darüber ins Gespräch kommen. So sollen vor allem marginalisierte Stimmen und nicht-kanonische Literatur sichtbar gemacht werden. Ludwig Lohmann, Programmleiter beim Leykam-Verlag und, zusammen mit der Buchhändlerin Maria-Christina Piwowarski, Host des Literaturpodcasts Blauschwarzberlin vertrat in der Diskussion eine andere Position: „Der Podcast ist Literaturkritik, wir machen uns Gedanken über die Auswahl der Bücher und geben eine Orientierungshilfe im Markt“. Und der Begriff Kritik beinhalte etymologisch eben auch die Tätigkeit des Unterscheidens und Auswählens. Lohmann gab allerdings auch zu, dass es innerhalb des Teams unterschiedliche Ansichten gebe und nicht immer alle Sparten klassischer Literaturkritik abgedeckt würden. „Maria sieht das anders, sie macht eher Empfehlungen, keine Verrisse. Ich habe aber einen weiteren Literaturbegriff, da gibt es eine Differenz zwischen uns.“ Die Kritik würde aber generell immer professioneller, je länger man Podcasts mache.
Podcasts machen Literatur öffentlich sichtbarer
Wie sieht das etablierte Feuilleton Podcasts? Gebe es dort eine Unterscheidung zwischen einem „Hochfeuilleton“, wie dem Deutschlandfunk auf der einen und Podcasts auf der anderen Seite? „Diese Unterscheidung gibt es nicht“, widersprach Lara Sielmann, die als freie Kulturjournalistin und Literaturkritikerin unter anderem selbst für den Deutschlandfunk arbeitet. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk habe selbst auch Podcasts, die sich kritisch mit bestimmten Themen auseinandersetzen, aber selbst nicht diese Unterscheidung zwischen Hoch- und Populärkultur treffen. Das Format Podcast selbst mag sie, nur „leider hat der Deutschlandfunk keinen.“
Für das Format sahen die Diskutant:innen durchaus Potential. Bereits vor den Kürzungen der öffentlich-rechtlichen Sender (nicht nur) im Kulturbereich hätten Podcasts eine gesellschaftliche Lücke gefüllt und im Bereich der Literatur für eine Demokratisierung gesorgt, so Georgina Fakunmoju. Ähnlich sah das Ludwig Lohmann: „Es wird mehr über unabhängige Literatur gesprochen. Auch über Lyrik und Kinderbücher.“ Dies habe auch mit dem Rückgang an klassischen Sendeplätzen, auf denen über Literatur gesprochen wird, zu tun: „Wenn die Öffentlich-Rechtlichen das nicht mehr machen, dann ist es der Podcast, der Öffentlichkeiten erzeugt.“ Dies sieht Lohmann genau wie Fakunmoju als Prozess der Demokratisierung, der eine diversere Form der Kritik schaffe, die sich mit einiger Verzögerung mittlerweile auch im klassischen Feuilleton wiederfinde.
Dialogisches Format fördert Verständnis füreinander
Literaturpodcasts ganz mit literarischer Feuilletonkritik gleichsetzen, da wollte Lara Sielmann nun allerdings nicht mitgehen, schließlich wolle Kritik im Unterschied zum Podcast keine Community ansprechen und sich auf andere Gedankenstränge einlassen. Generell vermisst sie allerdings den gesellschaftlichen Raum für Kritik als Form des respektvollen Dialogs: „Schade, dass Kritik so wenig vorkommt. Wir müssen uns gesellschaftlich wieder mehr zuhören.“ Podcasts könnten durch ihr Format dabei helfen: „Der Podcast hat dieses Dialogische. Das muss es mehr geben, um Leuten beim Denken zuzuhören.“ So könnten auch andere Standpunkte durch Kritik verstanden werden, denn Kritik mache schließlich Argumente nachvollziehbar.
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