Oliver ZilleDer Direktor der Leipziger Buchmesse traf sich am Messesamstag mit den Jungen Verlagsmenschen. Im Gespräch gewährte er Einblicke in seinen Arbeitsalltag, in die Organisation einer Buchmesse und gab seine Einschätzungen über den ostdeutschen Verlagsstandort.

Herr Zille, seit 16 Jahren sind Sie Direktor der Leipziger Buchmesse. Im Figaro haben Sie mal gesagt, Sie hätten den schönsten Job, den Sie sich vorstellen könnten. Was gefällt Ihnen so gut daran?
Sicher vor allem die Vielfältigkeit der Aufgabe, die Herausforderung und Möglichkeit,  sowohl etwas für die Branche als auch für den Standort Leipzig tun zu können und nicht zuletzt die vielen interessanten Menschen, mit denen man über die Jahre zusammentrifft und auch gemeinsame Projekte realisiert.

Wie wird man Direktor der Buchmesse?   
Auf jeden Fall nicht mit Vorsatz. Ich hatte das riesige Glück, unmittelbar nach der Wende und kurz nach meinem Berufseinstieg am Neuaufbau der Buchmesse mitwirken zu können. Das war aber eher Zufall. Mein großes Interesse an der Sache hat mich gehalten und so konnte ich mich dann von der Pike auf hocharbeiten. Meine Nerven und meine Ausdauer waren offensichtlich stabil genug, auch über Zeiten hinweg dabei zu bleiben, als schwierige Entscheidungen zu treffen und Rückschläge zu verkraften waren.
Auf jeden Fall habe ich immer versucht, möglichst offen zu sein und auch von und mit unseren Kunden am Markt zu lernen. Buchbranche und Messegeschäft faszinieren mich seit langem, natürlich spielt aber auch eine gehörige Portion Lokalpatriotismus für Leipzig mit. Und das Beste: Mit den Jahren ist meine Arbeit nicht langweiliger, sondern mit den wachsenden Möglichkeiten der Messe immer spannender geworden.

Die Messe findet einmal im Jahr an vier aufeinander folgenden Tagen statt. Wie bestreitet Ihr Team die restlichen 361 Tage, wie viel Raum nimmt die Arbeit an neuen Konzepten ein, wie viel die Organisation und Umsetzung avisierter Projekte?
Während der Messe besteht unsere Aufgabe als Messeteam vor allem darin, gute Gastgeber zu sein und einen reibungslosen Ablauf der Messe und des  Veranstaltungsprogramms zu gewährleisten. Unmittelbar nach Messeschluss wird eine sehr ausführliche Auswertung betrieben und darauf begründet dann an der konzeptionellen Weiterentwicklung von Messe und Festival gearbeitet. Dies muss, zumindest in groben Zügen, bis zum Frühsommer erledigt sein.
Dann geht es in genau definierten Etappen an die Austellerakquise, Fachbesucheransprache, Publikumswerbung und den ebenfalls nicht unerheblichen Teil der Programmarbeit. Sobald sich Aussteller und Fachbesucher für die Messe interessieren und anmelden, erbringen wir auch umfänglichere Beratungs- Service- und Betreuungsleistungen, die für den Einzelnen eine erfolgreiche Messe- und Festivalteilnahme unterstützen und sichern sollen. Bei unserer relativ kleinen Mannschaft und den jetzt erreichten Dimensionen von Messe und Lesefest sind die 361 Tage bis zum nächsten Ereignis keineswegs zuviel Zeit.

Steht die Leipziger Buchmesse im Schatten der größeren Messe in Frankfurt? Was ist das Besondere an der Leipziger Buchmesse?
Die Leipziger Buchmesse ist schon seit längerem aus dem Schatten der „großen Schwester’’ herausgetreten. Unsere Veranstaltung verfügt über ein klares Konzept als Publikums- und Autorenmesse und nimmt mittlerweile wieder einen Platz unter den großen europäischen Buchmessen ein.  Wir haben über Jahre und mit sehr viel Erfolg unsere Stärken in den Bereichen „Neue deutschsprachige Literatur und junge Verlage’’, „Literatur aus Mittel- und Osteuropa’’ und „Bildung und Leseförderung’’ ausgebaut. Unser Lesefest „Leipzig liest’’, mit dem wir die gesamte Stadt Leipzig in die Buchmesse einbeziehen, befördert mit seinen spezifischen Mitteln diese Schwerpunkte und verschafft uns dabei mindestens im europäischen Maßstab ein hervorragendes Alleinstellungsmerkmal.

Sie haben es geschafft „Leipzig liest“ zu Europas größtem Lesefestival auszubauen. Was macht „Leipzig liest“ so erfolgreich?
Der große Erfolg stellt sich über das Zusammenspiel verschiedener Faktoren her. Zum einen ist es die ungeheure Vielfalt. Jeder auf der Messe ausstellende Verlag kann am Festival teilnehmen. Dadurch wird dem Publikum eine enorme Bandbreite an AutorInnen und Themen geboten. Zum zweiten ist es die außergewöhnlich intensive Verbindung zwischen der Messe und der Stadt mit ihren Lokalitäten. Alljährlich beteiligen sich über 350 Veranstaltungsorte! Und drittens ist Leipzig selbst auch nicht zu groß: Die einzelnen Orte liegen entweder nah beieinander oder sind gut ans Verkehrsnetz angebunden. Die Messe und das Festival sind an den vier Märztagen omnipräsent in der Stadt, und alles konzentriert sich auf die Literatur. Ganz Leipzig feiert dann Buchmesse.

Wie empfinden Sie die Schließung bzw. den Weggang vieler Verlage aus Leipzig, was bedeutet dieser Umstand für den Messestandort?
Ich bedaure das außerordentlich, auch wenn es in der Vergangenheit keine unmittelbaren Auswirkungen auf unsere Buchmesse hatte. Aber ich finde trotzdem, dass das Bild vom andauernden Weggang von großen Verlagsnamen aus Leipzig etwas schräg hängt. Bei den Schließungen handelte es sich bisher ausnahmslos um Dependancen von Verlagen, deren Zentralen nach dem 2. Weltkrieg im Westen neu aufgebaut wurden. Die Schließungen jetzt muss man als Spätfolgen der deutschen Teilung sehen. Was dabei aber völlig aus dem Blick zu geraten droht, ist die Tatsache, dass es in Leipzig durchaus eine lebendige und sehr produktive Verlagsszene gibt, deren Zahl nach 1990 deutlich gewachsen ist. Deren Arbeit hat in meinen Augen eine stärkere öffentliche Wahrnehmung verdient.

In diesem Jahr findet erstmals ein Karrieretag Buch und Medien  in Kooperation mit dem Börsenverein statt. Wie nehmen Sie den Branchennachwuchs wahr?
Beim Karrieretag ging es vor allem darum,  medieninteressierte, aufgeweckte junge Leute nach ihrem Schulabschluss für eine Berufslaufbahn im Buchhandel und Verlagswesen zu interessieren.
In der deutschen Wirtschaft gibt es in zunehmendem Maße einen Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte. Da muss auch die Buchbranche mit einem guten Marketing künftig noch aktiver werden. Und genau das wollen wir als Messe mit dieser Veranstaltungsreihe, die wir gemeinsam mit dem Börsenverein organisiert haben, unterstützen.

Interview: Gesa Jung und Lars Claßen