Buchpreis-Terézia Mora-Christiane Geithner

Terézia Mora und Stefan Hauck
© Christiane Geithner

Seit Montag steht es fest: „Das Ungeheuer“ von Terézia Mora ist der beste Roman des Jahres. Die Gewinnerin war bei der Preisver-leihung ehrlich überrascht, hatte nicht einmal eine Ansprache vorbereitet. Doch auch an den folgenden Tagen auf der Frankfurter Buchmesse dürfte sie kaum Zeit gehabt haben, darüber nachzudenken. „Noch mehr Termine, als sonst“ bedeute der Sieg in erster Linie für sie, wie sie Börsenblatt-Redakteur Stefan Hauck im Lesezelt am Samstag bestätigte.

Das Gespräch begann Hauck bezugnehmend auf eine gestalterische Eigenheit des Buches: Ein schwarzer Stich teilt die Seiten des Buches in der Mitte. Auf den ersten 83 Seiten ist überhaupt nur die obere Hälfte mit Text bedruckt, der Rest ist leer. Was zunächst wie eine Panne aus der Druckerei aussieht, ist ein wichtiger Teil des Gesamtkonzeptes des Romans. In der oberen Hälfte der Buchseiten begleitet der Leser den IT-Spezialisten Darius Kopp auf seiner unruhigen Reise mit dem Auto durch Osteuropa. Er ist unterwegs, um seine Trauer über den kürzlichen Tod seiner Frau Flora zu verarbeiten, die er über alles geliebt hat. Dennoch war ihm nicht klar, dass sie an Depressionen litt. Auf der unteren Hälfte der Seiten kommt Flora zu Wort. Sie hat Darius eine Datei mit Gedanken und vielen verschiedenen Textsorten hinterlassen, eine Art Tagebuch über ihre Krankheit. Dadurch erfahren Kopp und der Leser gleichzeitig, was wirklich in seiner Frau vorging, bevor sie sich das Leben nahm.
Wie findet man als Leser durch diesen Roman, wenn die Form so ungewöhnlich ist? Terézia Mora stellt es jedem frei, einen eigenen Weg durch ihren Text zu finden. Zwar habe sie den Kapiteln Nummern gegeben, doch der Leser könne selbst entscheiden, ob er sich an diese Empfehlung halten möchte. Überhaupt will die Autorin den Fokus der Diskussionen nicht immer wieder auf das Formale legen. Das Buch ist nur für diejenigen Leser gedacht, die „den Formschock überwinden können“, sie fügt an ihre Leser gerichtet hinzu: „So wie ich es schreiben konnte, so kannst du es lesen.“ Wer glaube, damit nicht zurechtzukommen, der solle lieber die Finger davon lassen, meint die Autorin selbstbewusst.
Im Anschluss an das Gespräch taucht Mora ein in ihre Geschichte. Mit einer wunderbar ruhigen und dunklen Stimme liest sie aus einem Kapitel, das Darius Kopp auf seiner Reise beschreibt, vor. Das vollbesetzte Lesezelt ist auf einmal ein stiller Ort inmitten der lauten Buchmesse. Gebannt hören die Besucher der Preisträgerin beim Lesen zu.
„Das Ungeheuer“ ist die Fortsetzung von Terézia Moras Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“. Vier Jahre habe sie für dieses zweiten Teil gebraucht, sagt Mora. Eigentlich ist die Geschichte als Trilogie angelegt, allerdings fehle ihr bisher die zündende Idee für den dritten Teil, der den Abschluss von den beiden ersten Teilen klar abgrenzen würde. Mora ist allerdings sicher, dass diese Idee mit der Zeit schon kommen werde. Zeitdruck verspüre sie nicht, es dauere eben so lange wie es dauert.
In den nächsten Wochen kommt Mora sowieso weniger zum Schreiben als ihr lieb ist, denn als Gewinnerin des Deutschen Buchpreises wird sie nun in vielen Städten zu Lesungen erwartet. Wenn man die Gelegenheit hat, sollte man sich einen Besuch nicht entgehen lassen. Es erwartet einen eine taffe Autorin mit einer beeindruckenden Lesestimme und einem außergewöhnlichen, spannenden Roman, der vom Leser entdeckt werden will.

Christiane Geithner

 

Die Junge Presse-Messereporter berichteten ebenfalls über die Preisträgerin; deshalb gibt es an dieser Stelle zwei Artikel zum Thema.

„Ungeheurer”-lich gut!

„Das Ungeheuer” so lautet der Titel des Buchs, das der Autorin Terézia Mora, die ungarische Wurzeln besitzt, den Deutschen Buchpreis 2013 einbrachte. Dieser wurde ihr am Montag, den 7. Oktober 2013 verliehen.

PreisträgerinTerézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren. Sie ist Schriftstellerin, Drehbuchautorin aber auch Übersetzerin für ungarische Literatur. Sie studierte Hungarologie und Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin. Seit 1998 ist sie freie Autorin. Ihre Werke schreibt sie auf Deutsch.

Der Titel „Das Ungeheuer” erweckt einen anderen Eindruck, als der Leser meinen könnte. Das Buch erzählt die tragische Geschichte von Darius Kopp und Flora. Sie waren ein normales Ehepaar. Darius liebte seine Frau mehr als alles, war jedoch überfordert mit ihren Depressionen. Nachdem Flora Selbstmord beging, macht Darius sich auf die Reise durch Osteuropa mit ihrer Urne und ihrem Tagebuch. Sein Weg führt ihn durch viele Länder, in welchen er nach einer Heimat für die Asche und seine Verzweiflung sucht.

Mora fasziniert ihre Leser durch ihren speziellen Schreibstil, indem sie das ganze Buch über eine horizontale Linie führt. Oberhalb dieser Linie werden die Gedanken und Handlungen Kopps aufgeführt, während unterhalb der Linie Auszüge aus Floras Tagebuch, die ihre Gedanken und Gefühle beschreiben, dargestellt werden.
Der Roman beschreibt die Emotionen dieser erkrankten Person und den Versuch der Mitmenschen, diese nachzuvollziehen.

Nach Meinung der Jury vereint Mora hohes literarisches Formbewusstsein mit Einfühlungskraft. Sie sehen  “Das Ungeheuer” als einen tief bewegenden und zeitdiagnostischen Roman, der somit den Sieg verdient.

Nicole Kulisz und Natalie Asmer