Ulrike Helmer

Die Verlegerin Ulrike Helmer ist zur „BücherFrau des Jahres“ gewählt worden. Bevor ihr diese Auszeichnung auf der Buchmesse von den Bücherfrauen verliehen wird, hatte Katrin Schroth die Gelegenheit zu einem Austausch über Feminismus in Vergangenheit und Gegenwart.

Frau Helmer, welche Bedeutung hatte der Feminismus der Achtziger Jahre für Sie bei der Verlagsgründung im Jahr 1987?
Also zum Glück gab es keinen EINEN Feminismus der achtziger Jahre – wenn sich gewisse Ansätze damals auch gern als ein Feminis-muss präsentierten… Ich stand immer in einem Spannungsverhältnis zur gelebten Bewegung und war am meisten in deren Theorien und Geschichte zu Hause – auch wenn ich im (universitätsnahen) Frankfurter Frauenbuchladen zehn Jahre sehr engagiert war. Aber natürlich hat der gesellschaftskritische Horizont der Frauenbewegung mich und meinen Verlag geprägt. Es war kein Zufall, dass ich mit einer historischen Autorin begann, der Vormärz-Schriftstellerin Fanny Lewald nämlich, und zwar deshalb, weil mich nicht zuletzt die Nachtseiten dieser feministischen Ahnin interessierten.

 

Hat sich die Begrifflichkeit heute geändert, spricht man jetzt von Gender?
Über die Frage, was Gender mit Feminismus zu tun hat, streiten sich die GelehrtInnen zahlreicher Gender Studiengänge an den Universitäten… Jedenfalls ist „Gender“, also der englische Begriff fürs „soziale Geschlecht“, nicht einfach als ein neumodischer Begriff für „Feminismus“ anzusehen. Wohl aber als eine Art Weiterentwicklung. Exakter erklärt das Christa Wichterich in ihrem Buch „Gleich, gleicher, ungleich“, das genau aus diesem Grund gerade in meinem Verlag erschienen ist.

Was waren und sind die Inhalte des damaligen und heutigen Feminismus?
Die Inhalte sind spätestens seit dem 18. Jahrhundert dieselben! Olympe de Gouges‘ „Frauenrechtserklärung“ ist für mich da die historische Wegmarke. Allerdings hat sich die Welt seit der Französischen Revolution auch ein wenig verändert… so müssen Mädchen inzwischen rosa tragen! (Früher mussten das übrigens die Jungs.) Die Inhalte sind dieselben und andere zugleich: Natürlich haben sie moderne, wenn nicht postmoderne Gestalt. Aber was sollen wir denken, wenn Mütter spätestens beim zweiten Kind ins volle Familienleben abtauchen, während sich erwiesenermaßen die frisch gebackenen Doppelväter noch mehr ins Erwerbsleben retten? Was sagen wir dazu, dass Frauen nach wie vor beschämend weniger verdienen? Dass vor allem alleinerziehende Frauen am Existenzminimum krebsen? Für mich als Verlegerin heißt das vor allem: Wege finden, wie kritische Sichtweisen aufs Geschlechterverhältnis Mut zur Veränderung und nicht nur Angst vor Veränderung machen können. Mut machen kann zum Beispiel auch ein Roman wie „Diejenige welche“ von Daniela Schenk, der mit viel Witz und Tiefgang eine Liebe auf den ersten Blick verfolgt – hier: zwischen Frauen. So ein Buch gibt Power für den harten Weg zwischen Lachen und Weinen.

Wie finden Sie es, dass viele junge Frauen heute die ehemaligen Ikonen des Feminismus belächeln und ihre Errungenschaften nicht mehr wert schätzen?
Ersteres: mehr als verständlich. Zweiteres: Spätestens wenn diese jungen Frauen keinen angemessenen Job finden oder nur einen, der schlechter bezahlt ist als der ihres Kollegen, oder wenn ihr Freund oder Mann sich nach dem zweiten Kind beruflich immer intensiver engagiert und sie sich dabei ertappen, dass sie nicht mehr vom Bügelbrett wegkommen, um seine himmelblauen Hemdkrägen zu plätten, dann sollten sie zum Beispiel bei Virginia Woolf nachlesen, in deren „Zimmer für sich allein“. Oder bei Hedwig Dohm, über die Isabel Rohner bei uns im nächsten Frühjahr eine Biografie publizieren wird. Dann werden auch junge Frauen entdecken, dass Feminismus hochaktuell ist und außerdem sogar Spaß macht. Man kann also auch gleich anfangen zu lesen …

Wie sehen Sie die Zukunft für die Frage des Geschlechterverhältnisses? Werden die Grenzen verschwimmen und lösen neue Vorstellungen die alten ab?
Es kommt auf die Frauen an. Warum sollten Männer sich die „patriarchale Rendite“ entgehen lassen, die sie unbewusst als ihnen zustehend betrachten? Sie erweisen sich bestenfalls als einsichtsvoll. Ob sie aber vermehrt aktiv an der gesellschaftlichen Demontage ihrer Privilegien mitwirken werden, bezweifle ich. Wenngleich es, das betone ich ohne jeden Sarkasmus, zu allen Zeiten auch echte FeministEN gab und geben wird. Wir haben solche im Programm, etwa John Stuart Mill. Das waren und sind solche Männer, die verstehen, dass es am Ende auch um ihre Zukunft geht. Die Vorstellungen von den Geschlechterverhältnissen verändern sich gewiss fortlaufend und haben sich bereits sehr geändert. Das erklärt etwa, warum es so viele „neue Väter“ im Land gibt, die wissen, was man als Selbstbild von ihnen erwartet. Aber auch das kann Ihnen ebenfalls ein Autor besser erläutern, Patrick Ehnis, der bei uns in diesem Herbst das Buch „Väter und Erziehungszeiten“ publiziert hat.

Welche Rollen spielen starke Frauen aus allen Zeitaltern und Lebenslagen in Ihrem Verlagsprogramm? Und wird das auch in den nächsten Jahren wichtig für Sie als Verlegerin sein?
Bei uns spielen nicht nur starke Frauen aller Zeiten eine Rolle, sondern durchaus auch schwache. Wir produzieren ja keine Vorbildschablonen. Das einzige, was wir tun können, ist die Vielfalt von allen Seiten zu beleuchten – und damit die Vielfalt der Sichtweisen. Das gilt fürs Fachbuch wie für Romane. Für mich als Verlegerin ist es das Wichtigste, hinter den Kulissen zu wirken, um die AutorInnen durch ihre Bücher sprechen zu lassen – womit sie Lust aufs Mitdenken machen. Denn „Bücher sind Klamotten fürs Hirn“ und „Schuhe für Gedankengänge“!

Danke für das Gespräch!

Interview: Katrin Schroth