Dass man Schreiben und Autor-Sein lernen kann, zumindest bis zu einem gewissen Grad, dem würde ich zustimmen. Muss ich wohl, schließlich studiere ich am Literaturinstitut in Hildesheim. Zwischen unserem malerisch-ländlichen und schlecht geheizten Campus und den Messehallen liegen rein atmosphärisch Welten. Was lernen hier angehende Autoren, die entschieden haben, die Sache selbst in die Hand zu nehmen?
Los geht es am Samstagmorgen im Untergeschoss von Halle 6, auf der Bühne von Publishing Perspectives – die sich in einer ziemlich abgelegenen Ecke befindet, dafür, dass es hier um Perspektiven geht. Der Titel der Veranstaltung lautet „An Overview of Self-Publishing 2016“, sie entpuppt sich aber als Werbung für die Alliance of Independent Authors, deren Gründerin Orna Ross lieber das Wort „abundance“ statt „flood“ mit Content assoziieren möchte. Moderator Porter Anderson ruft dem spärlichen Publikum zu: „You’re not alone“ und „Everyone’s creativity counts“. Allerdings sei die goldene Ära, in denen Selfpublisher etwas Besonderes waren und ihre E-Book-Verkäufe rasant in die Höhe schnellten, ohne dass sie groß etwas tun mussten, vorbei. Er empfiehlt, E-Books zu lesen, um das Leseerlebnis der Buchkäufer nachempfinden zu können. Er selbst finde digitales Lesen auf dem Bildschirm „more immersive“ als auf Papier; vielleicht, weil er immer so viel Fernsehen geschaut habe. Orna Ross warnt davor, in sozialen Netzwerken „unter sich“ zu bleiben und nur anderen Autoren die eigenen Bücher anzuschwatzen: „Other writers are not the audience you need.“
Beim nächsten Termin in Halle 3.0 wünsche ich mir die ausgestorbenen Gänge der internationalen Halle zurück. Die Bühne der Selfpublishing-Area ist größer, es sind mehr Menschen da, hier herrscht Aufregung, hier gibt’s noch was zu holen. Am Neobooks-Stand spricht Jennifer Jäger, die bei Neobooks für Author-Relations zuständig ist und selbst als Selfpublisherin veröffentlicht, über Storytelling und den perfekten Spannungsbogen. Sie beginnt bei innerer Logik: „Wenn zum Beispiel der Einbrecher mit einem Schürhaken erschlagen wird, sollte das Haus einen Kamin haben, wenn jemand mit einem Kugelschreiber auf den anderen losgeht…“, und unterbricht sich selbst: „Warum fallen mir nur blutige Beispiele ein?“. Es könnte mit den verstopften Gängen rund um den Stand zu tun haben, in denen die Menschen mehr stehen als gehen. Um glaubwürdige Figuren zu schaffen, empfiehlt sie, Steckbriefe zu erstellen, aber natürlich nicht jedes Detail im Buch unterzubringen. Eine Möglichkeit sei, sich an für bestimmte Sternzeichen typischen Merkmale zu orientieren, die man leicht beim Googeln finden kann: „Ich hab sogar mal was über die sexuellen Vorlieben von Sternzeichen gefunden.“ Aber die Vorlieben ihrer Figuren wolle sie dann doch lieber nicht kennen. Der Crashkurs zum Thema Plotten endet mit einem Zitat von Jean Paul: „Solange ein Mensch ein Buch schreibt, kann er nicht unglücklich sein.“
Das wäre die perfekte Überleitung zur nächsten Veranstaltung „Wie schreibe ich ein Buch?“ auf der Selfpublishing-Bühne. Aber hier hat schon jemand vor dem Messetrubel kapituliert, die Veranstaltung fällt krankheitsbedingt aus.
Marcella Melien