Wenn man eine Nation von 320.000 Einwohnern ist, was gerade einmal der Größe Bielefelds entspricht, ist es relativ schwer, Aufmerksamkeit zu erregen. Island, die kleine Inselnation im Nordatlantik hat auf der diesjährigen Buchmesse bewiesen, dass es mit Kreativität und spannenden Geschichte jedoch ganz einfach ist.
Auch eine Woche nach der Buchmesse in Frankfurt ist die Begeisterung für den isländischen Pavillon ungebrochen. Und das hat nicht nur mit der ungebrochenen Faszination der Deutschen für den Inselstaat zu tun, die gesamte visuelle Präsentation in dem etwas groß geratenen Raum war überzeugend. Auf übermenschlich großen Leinwänden präsentierten Isländer das, was ihnen Lesen bedeutet. Der eine las am Tisch, die andere im Bett, alle hatten sie aber einen Hang zum Buch, der sich auch in den großen Literatur Bücherschränken ausdrückte.
Die Präsentation der Bücher der deutschen und isländischen Verlage war, vergleicht man sie mit den Konzepten der Gastländer der vergangenen Jahre gewagt, um das mindeste zu sagen. In dem abgedunkelten Raum waren audiovisuelle Reize im Überfluss gegeben, die Leinwände erzeugten eine Sound-Atmosphäre, die von jedem sofort Beschlag nahm. Die wenigsten der Besucher werden ein Wort von dem verstanden haben, was die digitalen Vorleser ihrem Publikum dozierten, intonierten und manchmal auch brabbelten, der Stimmung tat das keinen Abbruch. Und vielleicht ist es auch die geheimnisvolle Sprache: zu unserer eigenen Sprachfamilie gehörend und doch so unverständlich, die uns Kontinentaleuropäern Island so magisch erscheinen lässt. Vollends in Beschlag genommen wurden die Besucher von einem Imagefilm des isländischen Touristikbüros, der über die vier Außenwände eines Würfels in der Mitte des Pavillons ausgestrahlt wurde. Nur selten sorgen derlei Filme dafür, dass Gäste sich in den Würfeln hinsetzen und Besucher, die während des Films den Würfel verlassen wollen, Böse Blicke abbekommen. Für den Film ist das wohl ein gutes Zeichen.
Was war jedoch mit den Büchern, die im Mittelpunkt stehen sollten? Auf der rechten Seite des Raumes, etwas besser beleuchtet und mit einem Café und ordentlichen Tischen versehen, standen sie. Tische, die den wenigen Coffee-Table-Books einen Sinn gaben, waren zu jeder Zeit häufig frequentiert, was ein positives Licht auf die Bücher warf. Die Organisatoren haben sich dafür entschieden, alle Bücher thematisch lose über die einzelnen Bücherschränke zu verteilen. Und die ausgestellten Bücher hatten es in sich! Abgesehen von den ohnehin schon auf dem deutschen Markt gut vertretenen und bekannten Arnaldur Indriðason, haben einige Autoren einen Eindruck hinterlassen können, die es ohne die Buchmesse wahrscheinlich nicht in die große Öffentlichkeit geschafft hätten. In erster Linie ist da Andri Snær Magnason zu nennen, dessen Entdeckung und Übersetzung für den deutschsprachigen Markt sich Orange Press aus Freiburg für sich reklamieren können. Er liefert mit „Traumland“ ein Buch, das den isländischen Protest gegen ein Staudammprojekt dokumentiert und gleichzeitig auch als eine Einleitung in die (energie-) politische Geschichte des Landes zu lesen ist. Dass dies nicht nur für eine beschränkte Anzahl an Fachleuten relevant ist ergibt sich daraus, dass das Buch gleichzeitig auch ein Schlüssel zum Naturverständnis der Isländer ist, das sich von dem kontinentaleuropäischen Blick doch stark unterscheidet.
Auch Fotobände gab es in diesem Jahr wieder. Die große Besonderheit an Island ist, dass selbst eintönige Landschaften sich prima als Fotomotiv eigenen und in der Lage sind, uns Respekt vor dieser einzigartigen Natur einzuflößen. Abgesehen von den das Fernweh anregenden Bildbänden haben Olaf Otto Becker und Torben Weiß vorgelegt. Die beiden beleuchten künstlerisch die isländische Landschaft und sorgen für eine Faszination jenseits der verbreiteten Klischees bemooster Hügel und grauschwarzer Lavafelder. Naturgemäß einen anderen Blick auf die eigene (Wohn-) Landschaft haben die Isländer. Orri Jónson ist die verlassenen Höfe seiner Heimat, von denen es immer mehr gibt, abgefahren und hat Aufnahmen gemacht, die stumme Zeugen des vergangenen, bäuerlichen Lebens auf Island sind. Die perfekte Heimat für sein Buchprojekt „Interiors“ hat er bei Steidl gefunden, die dafür sorgen werden, dass ein solches Buch nicht verweist.
Wie die Trolle oder die Hidden People haben sich die Isländer mit ihren Büchern auf der Frankfurter Buchmesse ausgebreitet und sie bestimmt. Die heimlich verteilte Creme hat sicherlich in vielen Hotelzimmern Frankfurts abends lahme Füße wieder heil gemacht, genauso wie in der Njálssaga. Ein Gastlandauftritt, sprühend vor Kreativität, der tatsächlich Lust auf die fremde Literatur macht. Mit der im nächsten Jahr anstehenden neuseeländischen Literatur hat man ein Gastland gewählt, das ein mindestens genauso großes Faszinationspotenzial hat. Wünschen wir den Neuseeländern ein genauso großes Maß an Kreativität wie es die Isländer eingebracht haben, denn Gastlandauftritte, die profanen Industrieschauen glichen, hat es in den vergangenen Jahren einige gegeben.
Jan Hillgärtner
Die nächste Buchmesse findet vom 10. Bis 14. Oktober 2012 statt. Gastland wird Neuseeland sein.