Jakob Augstein hat ein neues Buch geschrieben: „Sabotage. Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen“. Es beginnt mit einer Anleitung zur Herstellung von Farbbeuteln.
Jakob Augstein (46), Journalist, ist der rechtlich anerkannte Sohn des Spiegel-Gründers Rudolf Augstein. Er ist Chefredakteur und Verleger der Wochenzeitung der Freitag, die er gern als „irgendwie links“ beschreibt, genau wie seine eigene politische Einstellung. In seinem Buch „Sabotage. Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen“ (erschienen Ende Juli 2013 bei „Hanser“) beschreibt Augstein, in welchem Defizit er die Demokratie in Deutschland sieht. Auf der Frankfurter Buchmesse wurde es vorgestellt.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert: Regime, Reflex und Reaktion. Dazwischen finden sich zwei Interviews, „Zwischenspiele“, die seine Thesen zum Teil stützen, ihnen aber auch widersprechen.
Argumente für mehr zivilgesellschaftliches Engagement, das er als zu wenig vorhanden betrachtet, ziehen sich durch das ganze Buch. Es geht dabei sehr viel um Gerechtigkeit, wie auch das erste Kapitel lautet. Dabei versucht Augstein nicht zu definieren, worum es sich bei diesem Begriff handelt. „Wir müssen gar nicht klären können, was die Gerechtigkeit ist. Es genügt völlig, wenn wir die Ungerechtigkeit erkennen können. Und das können wir.“
Er diskutiert den Einsatz von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung und differenziert dabei zwischen Gewalt gegen Personen (die er ablehnt) und Gewalt gegen Sachen. Augstein wirft dabei die Frage auf, ob der Rechtsbruch in der politischen Auseinandersetzung wirklich gesellschaftlich geächtet werden sollte. Dabei verfolgt er aber nicht das Ziel, sofort eine Antwort zu geben, sondern Für und Wider abzuwägen und damit die Debatte darüber ins Leben zu rufen.
Der Untertitel von „Sabotage“ klingt zunächst radikaler, als er später tatsächlich begründet wird. Es geht dabei nicht um das Abschaffen des Kapitalismus an sich, wie man vielleicht vermuten könnte. Es geht um die Zähmung eines Systems, das auf Effizienz angelegt ist, und sich laut Augstein nicht als Gesellschaftsmodell eignet. Dass das in der Öffentlichkeit zu wenig besprochen wird, schreibt er (so auch im Buch) vor allem Politikern und Journalisten zu – und der Zurückhaltung der Deutschen, ihren Körper in die Politik zu bringen, sprich: zu demonstrieren.
Auf die Frage, wen er mit seinem Buch eigentlich angreife – die Wähler, die sich die Demokratie „zerfleddern“ ließen, oder die Politiker – antwortete er im Gespräch auf der Buchmesse: „Ich würde sagen, ich attackiere vor allem die Medien, die dieses System mitstützen.“
Das stimmt, durch das Buch ziehen sich Beispiele von Journalismus, in denen seiner Meinung nach falschen Motiven gefolgt wird. Er vertritt die Auffassung, dass Journalisten vor allem kontrollieren und hinterfragen sollen. Zur Zeit sei aber ein Großteil der Medien zu sehr auf Systemstabilisierung aus, kritisiert er. Sein Vorwurf gegenüber der Politik ist ähnlich: Dem Volk werde suggeriert, es gebe keine Unterschiede zwischen den Parteien und ohnehin keine Alternative, es gehe Deutschland gut, weil es der Wirtschaft gut geht. Gleichzeitig sinkt die Wahlbeteiligung und das untere Drittel werde finanziell und sozial abgehängt. Er protestiert gegen zunehmende Entdemokratisierung und -politisierung und plädiert für Umverteilung und einen Diskurs, der nicht nur zwischen den öffentlichen Eliten stattfindet.
„Sabotage“ ist ein Buch, das weder Politik noch Medien schont. Augstein hält sich nicht mit Beispielen zurück, in denen er zynische Vorgehensweisen angeht, und benennt dabei offen Missstände in Berichterstattung und politischer Gestaltung. Der Prolog, der sich mit der Herstellung eines Farbbeutels beschäftigt, verspricht eine kontroverse Debatte, die im Verlauf des Buches auch tatsächlich folgt. Dass Augstein einige Formulierungen verwendet, die man auch als polemisch bezeichnen könnte, wird sicher einige Leser ärgern. Andere – vermutlich vorwiegend linke – Leser werden sie vielleicht als erfrischend empfinden, zum Beispiel die Analyse der Phrase „Das wird man ja noch sagen dürfen“. Der Tonfall tut der Sache aber keinen Abbruch, denn durch die klaren Statements wird der Leser provoziert, Stellung zu beziehen und seine Argumente zu überdenken und zu schärfen; Was Augstein, so kann man vermuten, allein schon als gewinnbringend für die Debatte bezeichnen wird.
Helke Ellersiek