Bodo Kirchhoff ist ein Autor, der es versteht über seinen Roman zu sprechen. Er fällt nicht auf die üblichen Muster der Abwehr zurück, die im Genre »ein Autor erklärt seine Geschichte« traditioneller- und auch berechtigterweise beheimatet sind.

Üblich, das wäre erstens die Vemeidungsstrategie des Sprachproblems: Die Interviewfragen treffen beim Autoren auf Unverständnis; mal zu banal, mal zu wissenschaftlich, waren derlei hilflose Frage-Antwort-Spiele des Öfteren auf der Buchmesse beobachten. Optimistisch gewendet: Das Unverständnis auf beiden Seiten ist unvermeidlich, wenn Schreiben und Über-das-Schreiben-Sprechen aufeinandertreffen; in diesem Unverständnis zeigt sich jedoch auch eine ganze Menge Erfreuliches, beispielsweise, dass Schriftsteller eben Schriftsteller und Wissenschaftler eben Wissenschaftler sind.

Die zweite, intuitiv gesprochen, häufigere Vermeidungsstrategie ist die ambitioniert-langatmige Inhaltsangabe. Nach seinem Roman befragt, gibt sich der Autor einer wirkungsvollen Nacherzählung der Geschichte hin, freilich nicht ohne mit den passenden schillernden Begriffen auf die Neugier der Leserschaft abzuzielen. Warum, so könnte die neugierige Leserschaft nun fragen, liest man dann das Buch nicht lieber selbst? Und: wo ist der poetische Eigensinn des Buches, der naturgemäß nicht in einer Inhaltsangabe à la Wikipedia aufscheinen kann?

Bodo Kirchhoff jedoch ist ein Profi. Weder erklärt er, was in seinem preisgekrönten und im Paratext als Novelle ausgewiesenen Roman »Widerfahrnis« auf der inhaltlichen Ebene geschieht, noch windet er sich aus den unangemessenen Fragen des Interviewers im Sinne einer Identifizierungslogik von Autor und Geschichte, oder auch abstrakter: von Realität und Fiktion.

Ein Profi ist er, weil er genau die richtigen Worte findet, rechtfertigen kann, warum er etwas so geschrieben oder so arrangiert hat, und letztlich zum Adjutanten eines emphatischen Schreibprozesses wird. Darum geht es ihm nämlich hauptsächlich: im Schreiben eine Sprache finden, eine Sprache, die dann wiederum auf die eigene bescheidene Realität zurückstrahlt, Gewohntes ungewöhnlich werden lässt. »Desautomatisierung« und »Entpragmatisierung« von Sprache sind zwei Begriffe, die auf Post-it’s geschrieben, über Kirchhoffs Schreibtisch hängen könnten.

Was sich in Kirchhoffs Worten zementiert, ist, dass er auf eine seltsam geglückte Art eben jene Grenze zwischen Kunst-Machen und Kunst-Erklären einreißt, weil er beides irgendwie kann und auch können muss. Schließlich ist er als Leiter einer fortan sicherlich expandierenden Schreibschule am Gardasee tagtäglich damit beschäftigt, ein Schreiben zu lehren, dass »den ganzen Menschen betrifft, seine Vergangenheit, seine Gegenwart und seine Möglichkeiten in der Zukunft.«

Weil sich für Poetologien aber im 21. Jahrhundert niemand mehr interessiert, wird Kirchhoff dann doch wieder nach dem Inhalt seines Romans befragt, in dem es ja irgendwie auch ums Schreiben und um einen Lektor geht. Letzteres gibt das Stichwort für den ebenfalls anwesenden Joachim Unseld von der Frankfurter Verlagsanstalt, Kirchhoffs Lektor und – so scheint es – guter Freund. An der irritierenden Frage, ob Unseld selbst vielleicht identisch mit Reither, dem als Lektor tätigen Protagonisten in »Widerfahrnis« sei, halten sich die beiden nicht länger auf, erzählen aber bereitwillig die Geschichte ihrer Freundschaft und Zusammenarbeit, verlieren sich in anspielungsreichen Anekdoten über das Büchermachen und scheiternde Verlagspolitiken.

Und wenn Unseld einmal mehr darüber spricht, dass er täglich drei ungefragt eingesandte Manuskripte erhält und sie dennoch alle liest, weil schließlich das ein oder andere mal auch »eine Marion Poschmann« darunter ist, wird klar, worum es hier auf dieser Veranstaltung zum Deutschen Buchpreis 2016 eigentlich geht: Kirchhoff und Unseld sind die perfekte Neuauflage des heißgeliebten Lektoren-Mythos, die alte Geschichte vom weisen Lektor und seinem exzentrischen Künstler, die eine leidenschaftliche Passion zum Büchermachen verbindet.

 

 

Miryam Schellbach