Das Publikum drängt sich am kleinen Stand des Kultursenders arte. Bereits eine dreiviertel Stunde vor Beginn der Podiumsdiskussion hat sich eine Traube gebildet, die bis in den Gang hinein reicht. Ein Kreischen in der Menge, das auffällig junge Messen-Publikum zückt seine Smartphones, er ist da. Stargast Florian David Fitz, bekannt aus Filmen wie „Vincent will meer“ und „Terror“ von Schirach, betritt zusammen mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Bühne.  

Der Moderator Thomas Böhm kommentiert scherzhaft „Jetzt wissen Sie, wie die Beatles sich gefühlt haben“ und leitet dann mit Versen von Joachim Ringelnatz in die Diskussion ein, welche Menschen in den Fokus stellen soll, die das geschriebene Wort so sehr lieben, dass sie ihrem Tag noch eine 25. Stunde hinzufügen – die Lesestunde. Böhm hinterfragt zunächst, wann und wie seine Gäste in ihrem Leben mit Büchern in Berührung kamen. Für Grütters habe die Leselust in einem Sommer mit ihrem Opa begonnen, der ihr bereits mit fünf Jahren das Lesen und Schreiben beibrachte. Fortan war sie begeistert von dem was zwischen den Buchdeckeln geschah. Fitz kann hingegen auf bestimmte Lese-Phasen zurückblicken, angefangen bei Otfried Preußler, über Vampirgeschichten bis hin zu einer langen Steven King Phase.

Lesen ist wie Liebe 

Die ersten Leseerfahrungen, die Kinder machen, finden in der Schule statt und sind von Zwang und Notendruck geprägt. Ob dieser Zwang ihre Leselust negativ beeinflusst habe, möchte Böhm wissen. Während Grütters von ihrer inspirierenden Deutschlehrerin schwärmt, die sich auch jenseits des Kanons bewegte und mit der sie heutzutage eine enge Lesefreundschaft verbindet, verlor Fitz unter dem Zwang der Schule durchaus das Interesse. Dieser Widerwille gehe gar soweit, dass ihn auch das Unterrichtsmaterialien zu seinem eigenen Drehbuch „Vincent will meer“ abschrecke. Er erklärt, dass die Leidenschaft für das Lesen aus einem selbst kommen müsse und das Leben mit der Erkenntnis beginne, dass man all das für sich macht. Lesen sei hier wie Liebe und es sei vollkommen in Ordnung etwas zu mögen oder auch nicht zu mögen, egal was einem der Kanon vorgibt.

Vom Suchen und Finden der Bücher

Wie Grütters und Fitz ihre Lektüren auswählen würden und woran sie sich orientierten,  schließt Böhm an. Während Grütters auf den persönlichen Rat in der Buchhandlung vertraut und sich bei Shakespeare und Company gleich wohl fühlte, auf deren kleiner Verkaufsfläche ein Werk von Josef Roth sofort zu finden war, outet sich Fitz als Cover-Opfer, wobei er zufrieden anmerkt, dass die Bücher wieder schöner würden. Er lese hierbei immer zuerst den ersten und den letzten Satz eines Werkes. Im Kontext dieser Auswahlkriterien haben Grütters und Fitz zudem je zwei Bücher ausgewählt, die ihnen besonders am Herzen liegen. Grütter benennt hier „Die Caprice der Königin“ von Jean Echenoz und zeigt sich begeistert von den spöttischen und überraschenden Pointen des sieben Kurzgeschichten umfassenden Bandes. Hierbei suche sie nach schöner Sprache, bewundere die Sprachkönner und könne sich an schönen Formulierungen berauschen. Fitz lockt hingegen die Weltsicht, die Bücher vermitteln und schätzt die Rolle der Sprache als Mittel zum Zweck ein. Dabei falle ihm der Einstieg in den Roman oft schwer. Dies treffe auch auf den von ihm vorgestellten Klassiker „Krieg und Frieden“ von Leo Tolstoi zu, der ihn erst nach dreihundert Seiten gepackt habe und dann nicht mehr losgelassen habe.

Blaue Flecken auf der Seele

Dass man sich manchmal wünsche einen Satz, eine Passage, ein Werk nie gelesen zu haben, wenn es einen bis ins Mark trifft und man das Gelesene nicht mehr aus dem Kopf kriegt, bestätigen sowohl Böhm als auch Fitz. Böhm spricht gar von „blauen Flecken auf der Seele“ die Werke wie „American Psycho“ von Bret Easton Ellis hinterlassen. Zugleich seien diese Verletzungen in der Freiheit des Kunstbegriffes inhärent, so Grütters. Sie stellt daraufhin ihre zweite Buchwahl vor „Das Phantom von Alexander Wolf“ von Gaito Gasdanow, in dem ein Einzelschicksal so greifbar rekonstruiert wird, dass wir ein weites Themenfeld, wie Grenzsituationen im Krieg, konkretisieren und verstehen können.

Der Blick über den Tellerrand

Zuletzt wendet sich die Diskussion daher dem Potential des Filmes und der Literatur zu, die, entgegen populistischer Politik, aufklärend und öffnend wirken sollen. Fitz stellt dieses Potential in Frage, da die Menschen „seelenfaul“ geworden seien und die Offenheit, welche gefordert ist, damit ein kritisches Buch oder ein Film überhaupt rezipiert werden, häufig nicht gegeben ist. Hierbei möchte er jedoch der Literatur nicht ihre Wirkkraft absprechen, sondern glaubt an die Janusköpfigkeit der Menschen und appelliert daran, sich in der aktuell verwirrenden Zeit nicht zu sehr zu sorgen. Böhm verweist in diesem Zusammenhang auf den Roman „Gottes kleiner Krieger“ von Kiran Nagarkar, welcher die Geschichte zweier Brüder erzählt, von denen sich einer stets in extremistischen Religionen bewegt und dessen Religion letztendlich die Gewalt ist. Sein Bruder, der sich dieser Tatsache bewusst ist, hört nicht auf ihm Briefe zu schreiben, ins Gespräch zu kommen, offen zu sein.

An das Publikum wird abschließend der Appell gerichtet, sich an der kulturellen Tankstelle, welche die Frankfurter Buchmesse bietet zu bedienen und sich inspirieren zu lassen.

 

Charlotte Hütten