Am Freitag der Frankfurter Buchmesse diskutierte eine Gesprächsrunde im Rahmen einer Livesendung für den „Büchermarkt“ des Deutschlandfunks über das Verhältnis zwischen Literatur und Politik, besonders im Vergleich zu den besonders politisch aktiven Autoren Heinrich Böll und Thomas Mann aus den letzten Jahrzehnten. Als Gäste waren Ralf Schnell, Klaus Wettig und Hilal Sezgin eingeladen. Die Fragen stellte Angela Gutzeit.

Ralf Schnell trat in seiner Funktion als Herausgeber von „Heinrich Böll und die Deutschen auf“, das im Dezember zusammen mit anderen Publikationen zum 100. Geburtstag von Heinrich Böll erscheinen wird. Bereits erschienen ist Klaus Wettigs Buch „Ich wohne nicht in stehenden Gewässern. Der politische Günter Grass“. Den Gegenwartsbezug lieferte Hilal Sezgin, deren Buch „Nichtstun ist auch keine Lösung“ zur politischen Aktion „in Zeiten des Umbruchs“ aufruft.

Zunächst wurde über Heinrich Böll gesprochen. Ralf Schnell betonte, wie sehr eine historisch orientierte Lektüre des Gesamtwerkes eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nachvollziehen lässt – es könne gar als „Zeugnis der BRD“ gelesen werden. Auch auf die relativ neu erschienenen Kriegstagebücher Bölls bezog er sich: Die schreckliche Kriegssituation habe zum Beginn der Ablehnung von Autorität geführt. Sie habe aber auch Bölls empathische und anarchistische Ideen sowie sein beginnendes Selbstbild als Autor geprägt.

Das Engagement Bölls in der Politik der späteren Bundesrepublik wurde schnell mit dem von Günther Grass verglichen. Klaus Wettig unterstrich Grass‘ Einsatz im Wahlkampf, aber auch die politischen Essays. Diese seien eine direkte Beeinflussung der Gesellschaft in Grass‘ Funktion als Autor. Auch Böll war im Wahlkampf tätig, er machte allerdings keinen Wahlkampf für die SPD als Partei, sondern klar für Willy Brandt als Person.

 

In der Gegenwart hat sich die Gesellschaft verändert

 

Beim Sprung in die Gegenwart kommentierte Hilal Sezgin die momentane schwierige Lage für Autor*innen in Deutschland, die sich auch politisch äußerten: anders als ausländischen Autor*innen würde ihnen schnell die Fähigkeit zum Schreiben abgesprochen – als ob politisches Engagement und das Verfassen guter Texte sich generell ausschließen würden. Außerdem sei es im Moment schwierig, an eine Tradition politischer Texte anzuknüpfen: es beginne gerade eher eine neue Phase nach einer Zeit fast ohne ein solches Genre.

Schnell ergänzte, es habe auch eine Veränderung der Gesellschaft stattgefunden:

Der Typus der politischen Intellektuellen würde heute nicht mehr gebraucht, denn Organisationen und Internetseiten hätten ihre beeinflussenden Aufgaben übernommen.

Auf die Frage danach, auf welchen Umbruch sich der Titel ihres Buches beziehen würde, nannte Sezgin den „großen Umbruch“ dieser Zeit: Rechtsruck, Veränderungen in der Weltpolitik und im Ton der Gesellschaft würden alles beeinflussen – und es sei Eile geboten.

Die moderierende Angela Gutzeit spitzte die Aussage des Buches auf eine „Anpreisung des Gutmenschentums“ zu, das in der Realität eher eine „Politik der kleinen Schritte“ wäre. Sezgin widersprach: genau diese als „kleinen Schritte“ wahrgenommenen Aktionen wären politisch: ein Ehrenamt, Engagement, das Ablehnen stiller Akzeptanz. Besonders im Engagement für Geflüchtete hätten Schriftsteller*innen auch klar Position bezogen, zum Beispiel in den Initiativen „Wir schaffen das“ und „Weiter schreiben“.

Schnell ergänzte, heute gäbe es vielleicht keine als intellektuell bekannten und beeinflussenden Persönlichkeiten wie Walser, Enzelsberger oder Gras. Aber vielleicht bräuchte man diese „Einzelkämpfer“ in der schnelllebigen Gesellschaft von heute nicht mehr. Engagement von Autor*innen sei eben auch anders möglich.

 

Anna Belitz