Unter dem Thema „Stories, Data, Discoverability“ stand die diesjährige Fachkonferenz der Leipziger Buchmesse. Die Jungen Verlagsmenschen erhielten am Rande der Fachkonferenz die Chance mit Sarah Mirschinka, Leitung digitaler Vertrieb national für Bastei Entertainment, ein informatives Interview über die Learnings aus dem Digitalvertrieb rund um eBooks zu führen. Das Wrap-Up unseres Gesprächs könnt ihr hier lesen.

Die Aufgabenbereiche im digitalen Vertrieb von Bastei Entertainment

Auf die Frage hin, wie sich die Aufgabenbereiche im digitalen Vertrieb von Bastei Entertainment gestalten, stellte Sarah Mirschinka eindrucksvoll die Vielseitigkeit des Vertriebes digitaler Verlagsprodukte vor.

© Sarah Mirschinka

Wir haben bewusst die Digitalisierung sämtlicher Print-Stoffe bei uns in der Abteilung (…) angesetzt; das heißt alle Print-first Übernahmen mit den großen Spitzentiteln“. Dabei ist Bastei Entertainment auch für die Frage zuständig, bei welchen Titeln Rechterückfälle aufgrund von Verramschung drohen und wie diese Titel mit einer digitalen Version weiterhin lieferbar sein können; teilweise auch als Print-on-Demand. Dabei wird auch die Vermarktung digitaler Romanhefte und -serien, als 2. Verlagssäule des Hauses, bewusst angesteuert. Gerade im Bereiche der Serien sollen Potentiale auf dem Markt ausgeschöpft werden. Die Vorteile eines umfangreichen digital-only Programms, dass bei Bastei Entertainment konzipiert wird, bringt Mirschinka schnell auf den Punkt: Flexiblere Preisgestaltung und keine Print-Referenzprodukte. Das Programm geht von selbstkonzipierten Serien bis hin zum klassischen Unterhaltungsportfolio eines breit aufgestellten Publikumsverlages. Dabei „besetzten wir gezielt noch die Nischen, die wir aus dem Print-Programm nicht haben“, betont Mirschinka und verweist auf die Genre Erotik, Romantic-Thriller und Romance. Auch die Zusammenarbeit mit der Selfpublishing-Plattform Bookrix, an der Bastei Lübbe eine mehrheitliche Beteiligung besitzt, wird dabei nicht ausgeschlossen. Bastei Entertainment setzt zudem auf die aktive Gestaltung von Verwertungsmaßnahmen und die proaktive Gestaltung von eBook-Lebenszyklen, und experimentiert hier mit den Möglichkeiten des “Product Splittings” oder “Product Bundlings”. Auch das Neugeschäft mit digitalen Flatrate- und Subskriptionsmodellen wird stetig ausgebaut und beobachtet; dabei sind potentielle Kannibalisierungseffekte und geeignete Genres auf interessanten Verkaufskanälen zu berücksichtigen. Auch das Kooperationsgeschäft, wie das B2B-Geschäft, wird künftig anvisiert – immer mit dem Ziel neue Zielgruppen zu erschließen. Auch auf dem internationalen Markt ist Bastei Entertainment mit dem Verkauf englischsprachiger Titel und der Übersetzung deutschsprachiger Spitzentitel tätig. Erste Learnings in verschiedenen Pricing-Modellen können aufgrund der fehlenden Buchpreisbindung gesammelt werden. Mirschinka plädiert besonders auf eine individuelle und persönliche Key-Account Betreuung und Kampagnengestaltung, da der heutige Customer Journey und das Lese- und Nutzungsverhalten nicht zu verallgemeinern ist.

Nachhaltiges Up-Selling, eine optimale Sichtbarkeit und eine Stärkung der Autoren ist das erfolgreiche Ergebnis. Sarah Mirschinka betont auch hier noch einmal: „Fakt ist die Leute lesen (…) und konsumieren und lesen mehr denn je. Die Frage ist nur, ob sie noch zahlen und hier stellt sich natürlich für uns als Verlage die große Herausforderung attraktiven Content zu bieten und eine Wertigkeit vor dem Kunden zu transportieren.“ Der Trend des Selfpublishings, so stellt Mirschinka fest, ist mit einem Umsatzanteil von 30 bis 35% in der Branche angekommen. Vielen Verlagen entgeht jedoch dieser Teil des Umsatzes, da sie sich bewusst gegen die Vermarktung von Selfpublishing-Autoren stellen. Bastei Entertainment setzt im Vertrieb jedoch keine Grenzen und probiert sowohl kurze Inhalte als auch Genre, die nicht in das klassische Verlagsportfolio hineinpassen – „denn daraus könnte ja in Zukunft eine Strategie wachsen. Wichtig ist, die Grenzen nicht zu sehr auszutarieren, sondern auszuprobieren.“

Die Chancen digitaler Medienprodukte

Digitale Medienprodukte unterliegen in der heutigen Verwertungs- und Vermarktungskette ganz anderen Regeln und Möglichkeiten und offerieren eine gezieltere kundenaffine Ansprache, bei der das Pricing als relevantes Marketingsinstrument eingesetzt wird. Mirschinka zeigt im unseren Interview, welche Experimente Bastei Entertainment mit digitalen Medienprodukte immer wieder testet und welche Rolle ‚digital standalones’ spielen.

Die digitale Krimi-Romanserie ,Cherringham’, eine Eigenproduktion von Bastei Entertainment, zeigt, dass auch Romanserien im digitalen Format eine Chance haben. Vor etwa zwei Jahren gestartet, ermitteln die Protagonisten Sarah und Jack bereits in über 30 lieferbaren Titeln. Die Serie ist dabei so erfolgreich, dass drei umfangreiche Romane mit dem Autor konzipiert werden. „Hier haben wir es geschafft mit einem Seriengenre Interesse zu wecken und uns jetzt zu einem längeren Format zu bewegen“, erklärt Mirschinka im Interview. Auch die Vermarktung kürzerer digitaler Texte für die zeitliche Überbrückung bis zur Neuerscheinung eines Romans, insbesondere im Print-Bereich, stellt sich im digitalen Vertrieb als attraktiv dar. Kostenlose Prequels zum Anteasern einer Novität oder Mehrfachverwertungen (Stichwort: Bundling) sind ebenso im Einsatz. Ziel ist auch hier Interesse zu schaffen, ein Ranking vor Erscheinen der Novität zu erzielen und die Sichtbarkeit der Verlagstitel mit Hilfe von Metadaten und SEO zu erhöhen. „Man muss schauen, den Content immer wieder kreativ neu zu denken, denn für jeden Kunden ist das Produkterlebnis unterschiedlich“, meint Mirschinka und nimmt dabei auf den individuellen Customer Journey Bezug. „Die Wege zum Kauf werden immer flexibler, weil der Kunde immer umgänglicher wird mit den digitalen Medien – sie werden immer selbstverständlicher“.

Das Pricing schafft dabei Attraktivität für den Kunden und orientiert sich bei Bastei Lübbe auch außerhalb des Buchhandels. Risiken und zugleich Chancen ergeben sich auch hier für Bastei Lübbe. Die Preisgestaltung variiert je nach Programmtitel; von kleinen Romanheftchen bis zu hochpreisigen Hardcover und eBook-Ausgaben. Das dabei der verlagsinterne eBook-Preis für den klassischen eBook Käufer zu hoch ist, erklärt Mirschinka wie folgt: „Der durchschnittliche eBook Preis bei Amazon liegt zwischen 3,00€ bis 3,49€. Bei Lübbe ist der durschnittliche eBook Preis bei 7,49€ bis 8,49€. Was recht hoch ist, wenn man das (..) mit Selfpublishing-Niveau vergleicht. Das ist aber das Potential, indem wir stecken.“ Denn mit einem breiten Portfolio schafft Bastei Lübbe ein breites Pricing-Spektrum, indem für jeden Kunden etwas dabei sein kann.

Das Erotik-Genre folgt dabei seinen ganz eigenen Regeln. Je härter der Inhalt, desto höher ist die Preisbereitschaft des Kunden und es wird klar „Schmuddeliges darf teuer sein“.

Die klassische PR-Arbeit im Verlag wird heutzutage vom Empfehlungsmarketing im Netz abgelöst und schafft enorme Potentiale für die Sichtbarkeit von Verlagstiteln, insbesondere für die umfangreiche Backlist. Denn je älter ein Titel, desto größer ist seine „SEO-Historie“ und damit sein „Empfehlungsbody“. Auch wenn Verlage noch heute vom klassischem Spitzentitel-Marketing profitieren, so schafft die Sichtbarkeit und Auffindbarkeit von Titeln auch nach Jahren der Erscheinung Relevanz vorm Kunden.

Trends und Herausforderung im digitalen Vertrieb

Barrierefreiheit schaffen:

Beim Kauf und Konsum heutiger Medienprodukte verlangt der Kunde absolute Barrierefreiheit. Mirschinka spricht dabei die Debatte um Kopierschutz-Verfahren und dem Digital Rights Management (kurz: DRM) in Verlagen an. Ein hartes DRM lehnte Bastei Lübbe von Anfang an ab, denn „je einfacher die Inhalte verfügbar sind, desto kundenfreundlicher der Kaufprozess und das Leseerlebnis“, betont Mirschinka. Das weiche DRM, dass eine Mehrfachnutzung digitaler Inhalte auf verschiedenen Lesegeräten erlaubt, ist in der Branche weitestgehend etabliert. Ein Problem bleibt jedoch: Große Shop-Anbieter können ein weiches DRM nicht abbilden und somit kaufen die Kunden nach wie vor hartes DRM. „Das Signal ist richtig, nur der Markt stellt es nicht dar“.

Alternative Lese- und Erlösmodelle:

Mirschinka betont dabei die vielfältigen Formen des digitalen Lese- und Konsumverhaltens, wie Subskription oder Streaming. Einen interessanten Schritt wagt Bastei Lübbe dabei mit dem Streaming-Portal Oolipo – eine multimediale Storytelling-Plattform, die im Herbst 2016 gelauncht wird. Autoren und Contenthersteller können auf Ooolipo Inhalte erstellen, die sich an eine gezielte Zielgruppe richtet, bei der das Smartphone als primäre Inhalte-Konsumquelle gilt.

Trends aktiv lancieren und allen Inhalten eine Chance geben”, darauf setzt Mirschinka. Die proaktive Gestaltung von neuen Vertriebsmodellen, und somit auch die Entwicklung von Gegenmodellen zu großen Anbietern, stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Denn den Markt möchte sie bewusst mitgestalten.

 

Wir bedanken uns für das interessante Interview mit Sarah Mirschinka.

Autorin: Claire Briatore