Am Messesonntag finden nahezu zeitgleich zwei Highlights in Frankfurt statt. In der Paulskirche wird der Friedenspreis des deutschen Buchhandels an Carolin Emcke verliehen und auf dem Podium der Selfpublisherbühne moderiert Nina George, Schriftstellerin und Beirätin des PEN-Präsidiums, die vom Netzwerk Autorenrechte initiierte Veranstaltung Meinungsfreiheit und Meinungsverantwortung.
So vielschichtig wie das Themenspektrum sind auch die geladenen Gäste: Zoë Beck, Schriftstellerin und Verlegerin bei CulturBooks, Imre Török, Autor und Vizevorsitzender des VS und Tobias Kiwitt, Rechtsanwalt und Sprecher des Bundesverbands junger Autorinnen und Autoren.
100.000 bis 200.000 verlagsunabhängige elektronische Titel pro Jahr stehen in Deutschland 84.000 Neuerscheinungen im Print und 30.000 bis 40.000 digitalen Verlags-Novitäten gegenüber. Was die Quantität angeht, schlagen auch weltweit die selbstverlegten Titel die der Verlag alle zwei Minuten erscheint weltweit ein selbstverlegtes Werk. E-Book-Distributoren bestreiten den Markt ohne Verlage und Buchhandel. „Ist das gut?“, fragt Nina George Zoë Beck, die in ihrer Doppelrolle als Autorin und Verlegerin des elektronischen Verlages CulturBooks beide Seiten kennt.
Für ein gelungenes und vertrauensvolles Arbeitsverhältnis sei es wesentlich für Verlage ihre Autoren und Autorinnen ernst zu nehmen. Die Zusammenarbeit ermögliche wiederum den Schriftstellerinnen und Schriftstellern, sich auf ihre Kernkompetenz zu konzentrieren: Das Schreiben. Eine Tätigkeit, die per se, egal in welchem Genre, politisch sei, so Zoë Beck.
Schriftstellerinnen und Schriftsteller, so ihre These, haben damit eine Verantwortung. Jede Figur, jeder Blick auf die Welt, jede Handlung vermittelt Lesenden sowohl Klischees als auch Überraschungen, formt Frauen- wie Männerbilder, gewichtet Themen.
CulturBooks hat Zoë Beck gemeinsam mit ihren KollegInnen 2013 gegründet, um auch literarischen Titeln eine Chance auf dem E-Bookmarkt zu geben. Denn elektronisch verkauften sich diese weniger, sondern stattdessen Genretitel, allen voran Erotik und Liebesromane. Auch Fanfiction funktioniere gut. Gefragt, was Verlage falsch machen, um Autorinnen in das Selfpublishing abwandern zu lassen, stellte Beck fest: Einerseits gehöre zur Zusammenarbeit mit einem Verlag die Bereitschaft, sich auf ihn einzulassen und sich nicht über Verbesserungsvorschläge hinwegzusetzen. Selbstverständlich sei Verlag aber nicht gleich Verlag; es gäbe so einige, von denen man sich wünschte, sie würden ihre Autorinnen und ihre Themen ernster nehmen, und vor allem: deutlicher und kontinuierlicher mit ihnen kommunizieren.
Tobias Kiwitt ist unter anderem Gründer des Aktionsbündnisses Fairlag, einer Initiative gegen die Machenschaften von Druckkostenzuschussverlagen. In seiner Funktion als Sprecher des Bundesverbandes Junger Autorinnen und Autoren, fragt ihn Nina George, was er den Mitgliedern rate: Sich selbst zu verlegen oder auf die klassische Verlagssuche zu gehen?
Schriftsteller, so Kiwitt, mache die Verlagssuche aus. Es sei wenig vorteilhaft für sich selbst und sein Produkt zu trommeln. Viel glaubhafter sei es, wenn andere dies für einen übernähmen. Ein Verlag stehe auch deshalb für Qualität, weil Profis eine Auswahl träfen. Für ihre Titel gingen sie immerhin auch in Vorleistung, sicherten zum Beispiel ein professionelles Lektorat. Wer selbst bei einem elektronischen Distributeur publiziere, solle insbesondere folgende Punkte kritisch prüfen: Wo ist im Streitfall der Gerichtsstand? Denn der Rechtszugriff ist im Ausland deutlich erschwert, gerade beim Marktführer Amazon. Kritische Punkte sind ebenfalls: Muss ich mich exklusiv an einen Anbieter binden? Wie sind die Kündigungsfristen? Kann ich, wenn ich ein Verlagsangebot bekomme, dieses kurzfristig in Anspruch nehmen oder wird mir diese Möglichkeit durch die Geschäftsbedingungen verwehrt? Was ein Selfpublisher außerdem wisse müsse: Es ist im unabhängigen Publizieren noch schwerer, gesehen zu werden, zudem sei der Preiskampf, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen, enorm. Die Kindletitel der Top 5 lägen zwischen 99 Cent und 2,99 Euro. Auch müsse einem grundsätzlich klar sein, dass ein E-Book alles über seine Leser wisse – und diese Leserdaten ausgewertet und mitunter dazu genutzt würden, den AutorInnen von morgen genau zu diktieren, was sie am besten schreiben sollten, um eine Zielgruppe anzusprechen. Freiheit der Literatur sähe anders aus. Auch was die Vergütung in einer Flatrate angehe, sollten sich Selbst-Verlegende darüber klar sein, dass das System, nach gelesenen Seiten zu bezahlen wiederum Auswirkungen auf das Schreiben und die Stoffentwicklung habe. Der Text richtet sich dann nach vermeintlichen Lesegewohnheiten, anstatt nach den Notwendigkeiten, eine Geschichte eigen und unabhängig zu erzählen. Dem stehe er kritisch gegenüber.
Aus Gesprächen mit Selfpublishern weiß ich, wie wenig Zeit für die eigentliche Tätigkeit einer Autorin bleibt. 70 Prozent Marketing hat mir jüngst eine Kollegin verraten, 30 Prozent blieben übrig für die komplexe Tätigkeit der Romanentwicklung. Geboren in der ersten Idee, noch verletzlich und wenig konkret, weiter entwickelt im Dilemma der Figuren, den Räumen, die sie durchschreiten und den Entwicklungen, die sich durchlaufen. Dann das Schreiben. Das Überarbeiten. Das Zweifeln und Zaudern. Das erneute Lesen. Bei mir sind es Traumschlaufen. Zeiten in denen ich zu nicht viel Anderem fähig bin. In denen die Welt aussetzt, weil eine neue sich aus ihrem Kokon schält. Wie, frage ich mich, überleben diesen Prozess Autorinnen und Autoren, die im Hintergrund kein Team um sich wissen, dass sie durch Lektorat, Satz, Coverdesign, Herstellung, Vertrieb und Pressearbeit unterstützt und entlastet? Die überdies am Laufband produzieren müssen, wollen sie erfolgreich sein. Denn digital lesen vor allem sogenannte Viellesende, die auf Nachschub warten, die begonnenen Reihen möglichst schnell weiterlesen und nicht frustriert werden wollen, durch zu lange Wartezeiten.
Selfpublishing ist auf der anderen Seite in Ländern, in denen es keine vom Staat unabhängige Verlagslandschaft gibt, ein Akt, sich überhaupt äußern zu können. In der Türkei sind jüngst 29 Verlage zwangsenteignet und ihre Bücher verboten worden, die Autoren haben ihre Urheberrechte verloren, so Nina George.
George fragt Imre Török, den Vizebundesvorsitzenden des Verbands Deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller, wie es um die Freiheit des Wortes bestellt ist und in welchen Ländern Autorinnen und Autoren akut durch Gefängnis oder sogar Folter bedroht sind.
Eine innere Stille legt sich über mich, als ich Imre Török lausche. Darüber wird sogar der Buchmesselärm nichtig. Ich denke daran, wie ich gestern mit wunderbaren Kolleginnen die Welt vergessen durfte und sehe mich heute wieder mit ihr konfrontiert. Während wir das Wort und die Literatur feiern – und das ist gut so – sitzen in der Türkei Staatsanwälte über ihren Rechnern, lesen E-Mails mit und durchforsten die sozialen Medien danach, was Autorinnen und Intellektuelle in den sozialen Medien veröffentlichen, teilen oder liken. Diese Daten reichen aus, um sie zu verhaften. Eine Demokratie gibt es dort längst nicht mehr und auch keinen verlässlichen Rechtsstaat, es wird über soziale Medien offensiv zu Denunziation aufgerufen. Wenn Autoren um jedes Wort bangen müssen, ein falsches Thema oder ein kritischer Geist ausreichen, um ihr eigenes Leben oder das von Nahestehenden in Gefahr zu bringen, geht es auch um Solidarität unter SchriftstellerInnen, um die Einigkeit der Einzelgänger, wie Böll es formuliert hat.
Aslı Erdoğan, eine kurdischstämmige Autorin in der Türkei, ist am 16. August 2016 verhaftet worden. Ihr droht lebenslange Haft unter erschwerten Bedingungen. Sie ist chronisch krank und hat tagelang ihre Medikamente nicht erhalten. Solche Methoden sind Folter. Sie dienen der Abschreckung und sind ein brachialer Versuch Intellektuelle zu brechen, die für die Rechte der Unterdrückten einstehen und mit ihren Worten und Taten für Aufklärung sorgen, geistige Strömungen auslösen und Veränderungen initiieren können. Aslı Erdoğan und ihre Kolleginnen sind Chronisten unserer Zeit, so Nina George. Sie schreiben aus dem Gefängnis, sie ringen um ihre Stimme. Gerne teile ich den Aufruf von Imre Török und Nina George: „Wir fordern von der Bundesregierung und von Frau Merkel schnelle Hilfe für unsere Kolleginnen in der Türkei und Notfallvisa für bedrohte Autorinnen und Autoren.“ Unterzeichnet auch ihr den Aufruf:
https://www.change.org/p/frau-merkel-herr-juncker-fordern-sie-meinungsfreiheit-in-der-türkei-freewordsturkey
Das Netz biete zum einen Freiheit für das Wort, zum anderen aber auch die Möglichkeit, ebendiese Freiheit gegen die Schreibenden zu wenden und sie zu überwachen. Solche Methoden säen Hass. Wie Nina George so treffend sagt: „Es kommt auf die Menschen an, die die Neuen Medien nutzen. Zensur im Digitalen hat viele Gesichter. Ein weiteres, hässliches betrifft schreibende Frauen.“
Acht von zehn Opfern von Online-Harassment seien Frauen, zitiert sie eine Studie des Guardian, der in zehn Jahren 70 Millionen Online-Kommentare auf seinen Web-Zeitungsseiten ausgewertet hat. Die verbleibenden zwei Männer seien schwarz oder schwul. Betroffen seien Bloggerinnen, Journalistinnen und Literatinnen. Das Spektrum der Gewalt, das ihnen angedroht würde, reiche von Beschimpfungen, über Bedrohung ihrer selbst und auch ihrer Kinder sowie Korrektionsvergewaltigung bis zum Mord.
Zoë Beck hat Online-Hatespeech seit Jahren erfahren. Sie spricht von stets wiederkehrenden Mechanismen. Beschimpfungen und Bodyblaming wie: „sie sei hässlich, frustriert, etc.“ seien noch harmlos – gegen die beiden Morddrohungen, die sie erhalten habe. Es ginge stets darum, die schreibenden Frauen mundtot zu machen. Der Rat der Polizei, den lange gepflegten und mühsam aufgebauten Account oder Blog einfach zu löschen, entbehre jeder Pragmatik. Eine Followerschaft aufzugeben, bedeute zu resignieren und genau damit spiele man den Tätern zu. Stattdessen ruft Zoë all jene, die die Kraft dazu haben, auf, den Betroffenen beizustehen. Gemeinsam und solidarisch vorzugehen gegen antidemokratische und antifeministische Hetze, das könne eine Basis sein. Nicht nur zusehen, sondern Trolle in die Schranken zu weisen, das ist auch die Aufgabe jener Autorinnen und Autoren von heute.
Ich schließe diesen Beitrag mit den Worten der kurdischen Schriftstellerin Aslı Erdoğan, die noch 2008 die Frankfurter Buchmesse besucht hat. Damals war die Türkei Ehrengast. Heute sitzt Aslı Erdoğan im Gefängnis. Die von Imre Török zitierten Zeilen stammen aus ihrem Kassiber, der aus einem Istanbuler Frauengefängnis herausgeschmuggelt werden konnte und so die Welt erreicht hat.
„Hinter Steinen, Beton und Stacheldraht rufe ich – wie aus einem Brunnenschacht – zu euch: Hier in meinem Land lässt man mit einer unvorstellbaren Rohheit das Gewissen verkommen. Dabei wird gewohnheitsmäßig und wie blind versucht, die Wahrheit zu töten. […] Ich bin eine Schriftstellerin, ich stehe für das „Gewissen“ der Menschheit. […] Auch wenn ich nicht weiß wie, aber die Literatur hat es immer geschafft, Diktatoren zu überwinden. […] VIELEN DANK. BITTE VERGESST MICH NICHT (und MEINE BÜCHER – sie sind meine Kinder.)“ [1]
[1] Erdogan, Asli: Brief aus dem Gefängnis. Deutsche Übersetzung.
Mehr zum Thema unter dem Hashtag #journalismusistkeinverbrechen und dem Twitterkanal Can Dündars (Schriftsteller und Journalist): https://twitter.com/candundaradasi
Tanja Steinlechner