Die Professoren Ernst-Peter Biesalski und Heiko Hartmann von der HTWK Leipzig gaben in einer gemeinsamen Veranstaltung einen humorvollen Einblick in Zukunftsaussichten der Buchbranche und berichteten davon, worauf sich die Branche ihrer Meinung nach in Zukunft konzentrieren müsse.
Wer bei dem Titel „Odyssee 2050“ auf harte Fakten und nüchterne Tipps für die Zukunft gesetzt hatte, wurde während der Veranstaltung enttäuscht und mit einem unterhaltsamen Zwiegespräch überrascht, indem die Referenten teils unterschiedliche Positionen einnahmen. Im Wechsel malten die beiden Dozenten zunächst mit einem Augenzwinkern ein Bild der Zukunft mit möglichen Entwicklungen und Errungenschaften der Buch- und Medienbranche in den nächsten rund 30 Jahren.
Lektüretipps aus der Dating-App und Bestseller durch Algorithmen
So gebe etwa „Amazon Bookship“ à la Dating-App schon 2021 Lektürevorschläge ab, die nicht zu umgehen seien, da aufgrund der Berechnungen abweichender Lesestoff ohnehin nicht gefallen werde. In Lehrbüchern von Springer würden je individuelle Wissensfragen gestellt ohne deren Beantwortung nicht weitergelesen werden kann und die sich als neue Prüfungsform herausstellen: Wer die Publikation bewältigt besteht die Prüfung. Dozenten gebe es in Zukunft auch daneben noch – bezahlt allerdings auf Grundlage der Zahl der Likes für ihre Texte.
Angesichts dieser Entwicklung nicht überraschend sei es, dass 2035 mit De Gruyter der letzte Wissenschaftsverlag seine Pforten schließt und die Anhänger von Open Access frohlocken. Denn: Wissenschaftler stellen ihre Texte nun kostenlos zur Verfügung; der freie Zugang über das Internet ist gesichert!
Derweil fänden die freigesetzten Lektoren ihr neues Aufgabenfeld bei Wahrheitsagenturen. Die Bestsellertauglichkeit von Büchern werde ohnehin von Algorithmen ermittelt, die 2041 die Erstellung von Bestsellerlisten überflüssig machen, da alle Titel gleich gut sind. Das mache auch den Buchhandel überflüssig, da große Einkaufszentren die Gehirnströme der Kunden messen und ihnen angepasste Inhalte präsentieren; Personal wird da nur noch für das Gefühl der Selbstbestimmung benötigt.
„Back to analog“ als Widerstandsbewegung
Wer glaubt, diese Entwicklungen würden nicht auf Widerstand stoßen, irrt. Unter dem Namen „Fahrenheit 451“ vereinen sich rebellierende Leser im Kampf für die Selbstbestimmung. Die Siegfried Unseld Bibliothek am Mediacampus sowie das Gutenberg-Museum in Mainz dienen als Sinnbilder dessen, wie die Branche einst aussah – „Back to analog“ wird zum Schlagwort der Bewegung.
Inhalte vor Technik
Doch allen Spaß und die Zukunftsvisionen beiseite genommen betonten Biesalski und Hartmann, dass für sie auch in Zukunft Verlage „Jäger und Sammler“ für Texte seien und als „Dienstleister und Hebammen“ für Autoren weiterhin ihre Berechtigung haben werden, selbst wenn der Buchmarkt zu einem „Premiummarkt“ würde. Die Buchkäufer seien nicht zu unterschätzen und Verlage dienten ihnen in einer unüberschaubar werdenden Welt als Qualitätsgaranten, die die Komplexität reduzieren. Während viele Diskussionen stark auf die genutzten und zu entwickelnden Technologien abzielten, müsse bedacht werden, dass es ohne Inhalte auch keine Verlage gebe, weshalb der Fokus wieder mehr auf diese gelegt werden solle. Als Kern der verlegerischen Arbeit stünden Inhalte auch in Zukunft dafür, zu „berühren“ und zu „fordern“, „Orientierung“ zu stiften und Rezipienten „im Inneren [zu] treffen“, Horizonte zu eröffnen und zu „überraschen“.
Auf Nachfragen aus dem Plenum, was denn nun die ernsthafte Meinung der beiden Redner zum Thema sei und ob denn das Streben nach dem Überraschen der Leser und der Beförderung von Neugier Verlage nicht ins Risiko stoßen würde, blieb die Meinung der beiden, dass gerade dies die Verlagsarbeit ausmache. Sie werde nach wie vor Teil der Kreativwirtschaft sein mit Inhalten als Kern, in denen die Ausgestaltung des Programms für avisierte Zielgruppen eben auch Risiken berge, die die Arbeit allerdings weiterhin spannend mache.
Text und Foto: Lisa Eckstein