Pia Stendera über die Veranstaltung „Mehr Event oder Literatur pur – Wie gewinnen wir die Buchkäufer zurück“
In den letzten zehn Jahren fanden sich zur Frankfurter Buchmesse stets um die 280.000 Menschen ein. Das Drängen auf den Gängen und die Suche nach freien Plätzen bei den zahlreichen Veranstaltungen täuscht schnell darüber hinweg, dass die Branche um das gedruckte Wort eine rückläufige ist. Stände und Veranstaltungen zu Applikationen, Portalen und Virtual Reality prägen inzwischen das Bild der Messe mit, doch immer wieder wird auch die Frage laut, wie Leserinnen und Leser (zurück) zu gewinnen seien.
So auch am Freitag auf der Bühne des Börsenvereins. Dass das Thema bewegt, zeigt der volle Zuschauerraum: Nahezu alle Hocker sind belegt, eine große Traube steht um sie herum. Christina Schenk – Verlagswissenschaftlerin, ehemalige Buchhändlerin, Autorin und WDR 3 Redakteurin – legt gleich zu beginn der Veranstaltung die nackten Zahlen auf den Tisch:
Zwischen 2013 und 2017 sank die Zahl der Buchkäufer*innen von ehemals 36 auf 29,6 Million. Das ist ein Rückgang um 18% in vier Jahren, der sich am stärksten in der Altersklasse der 20-49-Jährigen verzeichnen lässt. Gerade einmal 44% der Deutschen greifen überhaupt noch zum Buch, ergab eine Studie des Börsenvereins.
Wo sind sie hin, die Buchkaufenden? Das fragt Schenk drei Gäste aus verschiedenen Bereichen rund ums Buch: Dorothee Junck aus dem Kölner Buchhandladen Neusser Straße, Verleger Helge Malchow von Kniepheuer & Witsch sowie Gerrit Bartels, Literaturredakteur des Tagesspiegels. Junck beobachtet in ihrer Buchhandlung vor allem eine Änderung der Art des Bücherkaufens: Neben der spontanen Laufkundschaft etabliert sich vor allem ein Omnichannel-Verhalten, also die Bestellung im Internet und Abholung im Geschäft. Impulskäufe werden also immer seltener – wie auch im übrigen Einzelhandel, bemerkt Helge Malchow. Der Leser*innenschwund fände im übrigen nicht an Stellen der höheren Literatur statt, sondern vor allem bei den Schmökern. Neben Kindern sei dies die Leserschaft, wessen Neugier wieder geweckt werden müsse.
Doch wie? Einen wichtigen Faktor stellt die Sichtbarkeit dar. Da weniger Menschen die Schaufenster von Bücherläden passieren, müssten neue Wege geschaffen werden, beispielsweise über lesende Vorbilder oder auch Events wie Lesungen und Literaturfestivals. Während Junck und Malchow die Eventisierung als stiftend für Neugierde oder sogar eine Gegenbewegung zum Rückgang der Leserschaft verfechten, sieht Gerrit Bartels auch dessen Grenzen:
„Bücher zu inszenieren, kann dafür sorgen, dass der Inhalt des Buches in den Hintergrund rutscht. Solange Menschen das mit nach Hause nehmen, macht es Sinn.“
Und darum soll es schlussendlich gehen: das Buch. Verleger Helge Malchow dafür brauche es in erster Linie Instanzen, die das Angebot an Manuskripten, die es noch immer in Massen gäbe, vorselektiert und dabei das Vertrauen der Lesenden innehat. Gefragt sind hier Verlage, die schlichtweg gute Bücher veröffentlichen, Buchhandlungen, die auf die ihre Kundschaft kennen und Kritiken, die zum Lesen anregen. Das Medium Buch müsse sich mehr rechtfertigen als je zuvor, bemerkt er ferner. Gerade mit der zunehmenden Nutzung digitaler Medien möge dies ersteinmal schwieriger erscheinen. Doch solange das Buch als Vertiefungsmedium fungiert und Komplexität schafft, wird es sich auch neben anderen Medien weiter rechtfertigen können.
Wenn es der Branche gelingt, Bücher nicht in Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu anderen Medien zu entwickelt und entdeckbar zu machen, dann sei das Buch unverwüstlich.
Dies zeige sich aktuell am Beispiel der Serie „Babylon Berlin“, die Verfilmung einer Romanreihe von Volker Kutscher, erzählt Dorothee Jung. Auch wenn oder gerade weil bisher nur der erste von sieben Bänden verfilmt wurde, sei die Nachfrage nach den restlichen Teilen enorm. Und es gäbe durchaus auch Medien die unterstützend zum Lesen wirkten: Social Media nutzt sie seit Jahren erfolgreich zur Inszenierung von Büchern, Organisation und Durchführung für gemeinsame Leseabende oder auch die Ankündigung von der rund dreißig Veranstaltungen, welche jährlich in ihrer Buchhandlung stattfinden. Besonders Kinderveranstaltungen werden sehr angenommen – um Nachwuchs macht Jung sich also keine Sorgen.
Ergänzend sieht Helge Malchow, der vor seiner Arbeit als Verleger an einer Schule unterrichtete und nach dem Schuldienst zeitweise an einer Promotion in Erziehungswissenschaften arbeitete, einen Schlüssel in der literarischen Bildung. Die Frage „was wollte der Autor uns mit seinem Werk sagen“ töte bei Heranwachsenden eher Neugier anstatt sie zu wecken. Dahingehend müsse sich dringend etwas ändern.