Austauschen, Vernetzen, Übersetzen im Europa der Schriftsteller:innen: „Wir müssen die Diversität verteidigen“

Messereport zur FBM 2022

von Stefan Katzenbach

Auf der Frankfurter Buchmesse 2022 stand das Thema „Übersetzen“ auf vielfältige Weise im Fokus: Nicht nur in Form literarischer Übersetzungen, sondern auch als Prinzip der Verständigung und des Austauschs wurde es interpretiert. So fragte die Veranstaltung „Gibt es ein Europa der Schriftsteller:innen?“ am Messedonnerstag nach der Vernetzung europäischer Autor:innen untereinander.

Welchen gesellschaftlichen Einfluss Literatur in Spanien hat und wie er sich im Lauf der Zeit verändert hat, das konnte Pepa Roma klar benennen: „Spanien hat eine lange literarische Tradition. Schriftsteller:innen waren vor dem Franco-Regime sehr einflussreich.“ Mit der Diktatur habe sich das geändert, so die mehrfach ausgezeichnete Journalistin und Autorin. Nach dem Ende der Franco-Ära seien die Literat:innen dann relativ schnell wieder in aller Munde gewesen: „Autor:innen waren in den 1990er Jahren wie Rockstars.“ Sie hätten Fernsehauftritte gehabt und Mindestgagen von umgerechnet 100.000 Euro erhalten. Eine Entwicklung, die viele Newcomer:innen angezogen hätte, die die Millionengagen ihrer Vorbilder gesehen und auf ähnliche Erlöse gehofft hätten.

Seit den 2000er Jahren sei der Markt nun zweigeteilt, einerseits die erfolgreichen, wohlhabenden Autor:innen und auf der anderen Seite die, die es nicht geschafft hätten: „Nur sechzehn Prozent können von ihrem Einkommen leben, andere kriegen keine 700 Euro pro Monat“, so Roma. Dies sei auch der zunehmenden Ökonomisierung geschuldet, der Markt sei auf Bestseller aus, die man dann im Fernsehen vermarkten könne. Das habe der Gesellschaft geschadet, zeigte sich die Autorin überzeugt.

Diversität und Kooperation als höchste Güter

Shaun Whiteside vom PEN Writers in Translation Committee richtete den Blick eher auf die Ausrichtung der Literatur im Vereinigten Königreich: „Wir haben in UK eine seltsame Situation: Es gibt eine große literarische Tradition, mit der wir andere Länder kulturell sehr beeinflusst haben, aber seit 2016 richten wir den Blick eher auf unser postkoloniales Erbe. Das scheint wichtiger zu sein als Europa.“ Eine Entwicklung, die der Übersetzer bedauert und sogar gefährlich findet: „Wir schneiden uns von der Kooperation ab, dabei brauchen wir sie, weil wir ohne sie leiden.“

Das sah Nicole Pfister Fetz, Geschäftsführerin von Autorinnen und Autoren der Schweiz sehr ähnlich. „Achtzig Prozent unserer Bücher sind aus dem Ausland. Wir haben vier Sprachen und die Sprachen der Zuwander:innen.“ Deswegen sei der Literaturbetrieb in der Schweiz „ein Mikrokosmos der Zusammenarbeit“. Von der Wichtigkeit jeder einzelnen Stimme zeigte sie sich fest überzeugt: „Wir müssen die Diversität verteidigen. Auch in der Literatur: Schriftsteller:innen müssen diese Diversität in ihren Texten zeigen.“

Texte statt Personen in den Vordergrund rücken

Können Schriftsteller:innen ein Bewusstsein für Diversität vermitteln? Moderatorin Nina George, die Präsidentin des europäischen Schriftstellerverbandes, zeigte sich zumindest etwas enttäuscht davon, dass Schriftsteller:innen in öffentlichen Debatten, wie etwa der um mehr Diversität, nicht präsenter seien: „Wir leiden unter einem Mangel an öffentlicher literarischer Meinungsäußerung“.

Shaun Whiteside, sah auf Georges Frage, welchen Einfluss Schriftsteller:innen im Vereinigten Königreich auf die öffentliche Meinung haben, eine Veränderung: „Es gibt, anders als in den 1980er Jahren, keine starke Annäherung mehr an Autor:innen, die starke moralische Statements von sich geben.“

Ein Umstand, der Nicole Pfister Fetz aber gar nicht stört: „Wir brauchen keine Autoren mehr, die uns die Welt erklären.“ Das Problem sei eher, dass Autor:innen als private Personen zu sehr in den Fokus rückten: „Wir diskutieren mehr über das Leben der Autor:innen, als über ihre Bücher. Wir müssen über die Texte nachdenken, nicht die Autoren“, forderte sie. Das sah Pepa Roma ähnlich, die zu starke Fokussierung auf den Charakter habe Autor:innen als Schreibende in den Hintergrund gerückt.

Doch welche Rolle können Autor:innen spielen, um die Zukunft zu gestalten?


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